: St. Pauli an der Leine
Trainer Franz Gerber hält den FC St. Pauli weiter hin. Präsidium agiert am Rande der finanziellen Handlungsunfähigkeit. Etat wird nicht genehmigt
aus HamburgOKE GÖTTLICH
Trainer Franz Gerber kann mit dem FC St. Pauli machen, was er will. Anders sind die Reaktionen des Präsidiums nicht zu deuten. Hilflos akzeptierten gestern Präsident Corny Littmann und die Vizes Guntram Uhlig und Gunter Preussker die Verlängerung der Bedenkzeit des Angestellten Gerber erneut. „Er braucht noch Zeit“, so Littmann. Gerber wollte sich bis gestern entschieden haben, ob er den Verein nun in Richtung des Zweitligisten Jahn Regensburg verlassen wolle oder nicht.
Einen für 12 Uhr angesetzten Termin mit dem Präsidium ließ der Coach ohne persönliches Erscheinen verstreichen. Um 12.45 Uhr bat er Littmann um weiteren Aufschub. Sowohl Spieler wie Vereinsführung wissen weiterhin nicht, wer am kommenden Samstag gegen Braunschweig als Trainer auf der Bank sitzen wird. Eine absurde Situation, da Gerber dem Präsidium noch vor wenigen Monaten versprach, gemeinsam ein Team zu formen, das in der kommenden Saison um den Aufstieg in die zweite Bundesliga mitspielen sollte.
Dafür öffnete die Vereinsführung trotz finanzieller Engpässe generös die Kasse und „investierte über die Schmerzgrenze hinaus in den sportlichen Bereich“, wie Littmann auf der Bilanzpressekonferenz zugab. Immerhin transferierte Coach Gerber in seinen knapp zwei Jahren beim Verein knapp 40 Spieler ans Millerntor, davon allein zwölf in der Zweitligasaison 2002/2003, die mit einem dicken Minus beendet wurde.
Für die Kicker Kurbjuweit, Gruszka und Fröhlich hat der Verein, laut Aktennotiz, die der taz vorliegt, mehr als 150.000 Euro bezahlt, nicht mitgerechnet die sonstigen Kosten wie Berater, Umzug oder Hotel. Bei keinem dieser Spieler – zwei davon kamen aus der Oberliga und einer aus der Regionalliga – wurde ein Passus im Arbeitsvertrag verankert, der ihn im Regionalligafall an den Verein gebunden hätte, obwohl sechs der Spieler in der Winterpause auf einem Abstiegsplatz in der zweiten Liga zum FC St. Pauli wechselten.
„Was sollen wir denn machen, uns sind doch die Hände gebunden“, lautet eine Stimme aus dem Präsidium, die den Vorfall durchaus als Machtmissbrauch von Gerber deutet. Denn der Coach weiß sehr genau, dass der Verein in finanzieller Abhängigkeit zu ihm steht. Eine Entlassung kann sich der Club nicht leisten. Was nicht zuletzt an Gerber selbst liegt. Der Coach jammerte solange öffentlich über den desolaten Kader, bis die Kasse für mehr Spieler, als im laufenden Etat vorgesehen waren, geöffnet wurde. Vorfälle, die Parallelen zu seinen Geschäftsgebahren in Celle – inzwischen zweimal insolvent – aufzeigen.
Aufgrund der düsteren finanziellen Perspektiven in der laufenden Saison („Wir werden sicherlich keine schwarze Null schreiben“, Vize Preussker) befindet sich der Verein am Rande der Handlungsfähigkeit. Der Trainer fordert finanzielle Perspektiven, die St. Pauli nicht bieten kann. Solange die Gemeinnützigkeit des Vereins weiter durch das noch nicht zurückgezahlte Geld an die Abteilungen gefährdet ist, wird der Aufsichtsrat den Finanzplan 2003 nicht genehmigen. Außerdem widerspricht das Kontrollgremium zahlreichen Verträgen, die nach seiner Meinung abstimmungspflichtig gewesen wären.
Selbst ein Weggang Franz Gerbers würde die Finanzlage St. Paulis kaum verbessern. Dann würde der im Moment von Gerber persönlich bezahlte Stürmer Henry Nwousu wohl vom Verein weiterbezahlt werden. Sollte nun die an der Vermarktung des FC St. Pauli beteiligte Firma „upsolut“ die Forderung von 200.000 Euro Personalkosten im Zuge der Retteraktion aufrecht erhalten, wird es finanziell noch enger.
Das sind wahrlich keine Perspektiven für einen Übungsleiter, der Geld braucht, um ein Team zweitligatauglich zu trimmen. Das könnte auch eine Erklärung dafür sein, warum Gerber beim erstbesten Angebot mit einem Vereinswechsel kokettiert. Beim FC St. Pauli ist für ihn nichts mehr zu bestellen. Es sei denn, die Fans halten es mit Präsident Corny Littmann: „Franz Gerber und mich verbindet ein freundschaftliches Verhältnis. Ich bin mir sicher, er würde sich bei einem Bleiben aufopferungsvoll für den FC St. Pauli einsetzen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen