STREIT IN DER UNION: DIE CDU WILL DER CSU ENDLICH DIE GRENZEN ZEIGEN: Die Zeit arbeitet für Merkel
Die Union hätte allen Grund zur Schadenfreude. Aus ihrer Sicht ist der SPD-Parteitag wunderbar verlaufen. Erst demontieren die Sozialdemokraten Superminister Clement und Generalsekretär Scholz, dann beschimpft der Kanzler auch noch seine eigenen Leute. Das alles mitten im Reformherbst – der Eindruck ist verheerend. Doch die Oppositionsführerin bleibt ruhig. CDU-Chefin Angela Merkel klemmt sich den üblichen Reflex, über den desolaten Zustand der Regierungspartei zu lästern. Schon gar nicht kommt es Merkel in den Sinn, Neuwahlen zu fordern, wie es der FDP-Kollege Guido Westerwelle fast immer tut, sobald man ihm ein Mikrofon vor die Nase hält. Hat Merkel etwa Mitleid? Oder will sie nicht regieren? Weder noch. Hinter ihrer Zurückhaltung steckt die Gelassenheit einer kühlen Machtpolitikerin, die es nicht eilig hat.
Eins nach dem anderen – so arbeitet sich Merkel an ihr Ziel heran, Deutschlands erste Kanzlerin zu werden. Natürlich gehört zu diesem Plan, dass die rot-grüne Regierung stürzt – aber nicht sofort. Das Siechtum Gerhard Schröders und der SPD darf aus ihrer Sicht ruhig noch ein Weilchen dauern. Zunächst muss Merkel sicherstellen, dass sie die unangefochtene Nummer eins in der Union ist, wenn es zum Machtwechsel in Berlin kommt. Dafür braucht sie zu allererst einen klaren Sieg gegen CSU-Chef Edmund Stoiber im unionsinternen Streit um den Umbau der Sozialsysteme. Wichtigste Voraussetzung dafür: Ein klares Votum des CDU-Parteitags für ihr radikales Herzog-Konzept. An einem Kompromiss mit Stoiber hat Merkel kein Interesse. Deshalb hat sie auch alle Forderungen abgelehnt, vor dem Parteitag ein Schlichtungsgespräch zu organisieren. Merkel will einen Sieg auf ganzer Linie – und ihre Chancen stehen gut.
Das Echo auf das Rentenkonzept der CSU war miserabel, die CDU zeigt sich zunehmend genervt von den ewigen Besserwissern aus Bayern, und Merkel hat es geschickt verstanden, den sozialen Flügel der eigenen Partei rechtzeitig einzubinden. Ein paar Zugeständnisse da, ein paar Versicherungen hier, dass es einen sozialen Ausgleich für die Kopfpauschalen geben wird – und schon dürfte die Mehrheit stehen. Zu groß ist das Bedürfnis in der CDU, der kleinen Schwester endlich ihre Grenzen aufzuzeigen. Dafür werden auch die Rechten ihren Ärger über den Rausschmiss Martin Hohmanns herunterschlucken. Mit einem triumphalen Parteitagserfolg für Merkel wäre Stoiber als Konkurrent um die Kanzlerschaft so gut wie ausgeschaltet – und Merkel kann in aller Ruhe zuschauen, wie die SPD weiter schwächelt. Je mehr Landtagswahlen die SPD verliert, desto stärker wäre die Union im Bundesrat, und desto stärker wäre eine Regierungschefin Merkel. LUKAS WALLRAFF
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen