: „Jeder hat Probleme“
Der frühere lettische Botschafter Andris Teikmanis wundert sich über die empfindlichen Deutschen
taz: Herr Teikmanis, 15 Jahre nach dem Mauerfall scheinen sich die Deutschen im Osten und Westen des Landes fremder als zuvor. Sind sie überrascht?
Andris Teikmanis: Schon in meiner Zeit als Botschafter in Deutschland habe ich die unterschiedlichen Auffassungen der Menschen in Ost und West gespürt. Ein Teil der Spannungen hat seine Ursachen in der wirtschaftlichen Situation, wie man auch heute an den Demonstrationen zu Hartz IV gesehen hat. Das weckt bei den einen den Wunsch nach alten Zeiten, bei den anderen die Angst vor der Zukunft.
Machen sich die europäischen Nachbarn Sorgen um Deutschland?
Jedes Land in der EU kann ähnliche wirtschaftliche Probleme haben. Die Frage ist, wie kommt man mit diesen Fragen zurecht.
Welche hat denn Lettland?
Wir gehören seit dem 1. Mai zur Europäischen Union. Das grundsätzlich positive Verhältnis der Gesellschaft dazu hat sich nicht geändert. Aber viele Letten haben den 1. Mai in ihren Taschen gespürt. Einerseits ist das Wirtschaftswachstum um 8,2 Prozent gestiegen, aber andererseits leider auch die Inflationsrate. Jahrelang lag sie bei rund zwei Prozent. Jetzt sind es sieben.
Wie sieht es mit der Arbeitslosenrate aus?
Wir haben wie in Deutschland ein Ost-West-Gefälle. In Riga und den westlichen Regionen liegt die Arbeitslosenrate bei rund vier, in den östlichen Grenzregionen zu Russland und Weißrussland bei über 20 Prozent.
Gibt es mehr Parallelen?
Auch bei uns gibt es viele, die nach dem Staat rufen und mehr Hilfe von ihm erwarten. Wir haben zwar sehr aktive Unternehmen und Menschen, die ihre Chance zur Selbstinitiative nutzen, aber auch Letten, die zu bequem oder ängstlich dazu sind.
Was macht Ihre Regierung?
Sie versucht, bessere Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu schaffen. Leider wird sie trotzdem in den Medien stark kritisiert. Aber das kennen Sie ja auch aus Deutschland.
INTERVIEW: LARS-BRODER KEIL
Fotohinweis: ANDRIS TEIKMANIS, 44, ist derzeit Unterstaatssekretär im Außenministerium in Riga.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen