: Mundraub in New York
Die Jugend von heute entdeckt immer neue und coolere Formen des Verbrechens
Mittagszeit in New York City. Wenn die Telefone der kleinen Restaurants, Diners und Fast-Food-Läden heißlaufen und die Köche kaum mehr mit den Bestellungen der Büroangestellten nachkommen, dann hat die Stunde der Mundräuber geschlagen. „All die Typen in der Wall Street, die vor lauter Arbeit zum Essen nicht aus dem Büro können, lassen sich leckere Sachen vom nächsten Deli liefern. Aber sie bekommen ihr Essen nicht, weil ich es bekomme“, sagt Joe Klein, der Anführer der „Vampire“, einer der ersten auf Mundraub spezialisierten Banden, die in New York ihr Unwesen treiben.
Mundraub als Mode ist nicht nur auf New York beschränkt. Burger King, McDonald’s, Kentucky Fried Chicken und Imbissbuden im ganzen Land sind davon betroffen. Für Brad DeJohnette, seit zwei Jahren dabei, ist der Nahrungsklau in erster Linie Protest gegen die Gesellschaft. „Ich lebe in einer materialistischen Welt – jeder will nur noch konsumieren, Geld machen und nutzloses Zeug kaufen. Fressalien zu klauen ist für uns die einzige Möglichkeit, unsern Zorn auszudrücken.“ Ob er da den Mund nicht etwas zu voll genommen hat? Die US-Regierung versucht zwar, wie üblich in solchen Fällen, die Welle der Mundraub-Terroristen herunterzuspielen, aber jeder Amerikaner schaut sich heutzutage zweimal um, bevor er in seinen Hot Dog beißt. Solange sich an der Misere der amerikanischen Gesellschaft nichts ändert, ist jeder für sich, und die Kids sind gegen alle.
Um den besonders betroffenen Restaurants Schutz zu gewähren, hat die Polizei einige Beamte als Pizzaboten abgestellt. Ihnen gelang es zwar schon, ein paar kleine Fische zu verhaften, aber die cleveren Junggangster erkennen die verkleideten Polizisten schon Meilen gegen den Wind. „Die Cops sind einfach zu langsam und ihre Ärsche sind zu fett“, sagt Pepe Camarides, der Führer der „Galoppierenden Gourmets“. Und er ist einer, der es wissen muss. Der Name seiner Gang ist Programm.
Der Überfall läuft immer nach dem gleichen Schema ab. Der Kurier des Lokals wird von fünf bis zehn „Muggers“ überfallen, die alles an sich reißen, was er auf dem Tablett hat. Jedes Bandenmitglied darf sich nur ein Teil greifen und macht sich dann schleunigst aus dem Staub. „Wir essen, so viel wir runterkriegen, den Rest verkaufen wir auf der Straße“, sagt der wohlgenährte Camarides, während er in einen saftigen Hamburger beißt, den er sich eben organisiert hat. „Sie glauben ja gar nicht, wie scharf die New Yorker auf verbilligte Sandwiches sind – speziell, wenn Thunfisch drauf ist.“ RÜDIGER KIND
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