piwik no script img

Noch 1,4 Grad Celsius bis zum Kollaps

Kälte und Krankheiten sieht der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung voraus, wenn die Verschmutzung der Luft weitergeht wie bisher. Ausstoß von Kohlendioxid muss um 60 Prozent bis 2050 reduziert werden. Trittin: Schönen Dank auch

aus Berlin KATRIN EVERS

Soll dieses Jahrhundert nicht von Malaria, Ernteausfällen, Süßwassernot und einer Kaltzeit in Europa geprägt werden, müssen die international vereinbarten Ziele zum Klimaschutz deutlich angehoben werden. Zu diesem Schluss kommt der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltfragen (WBGU) in einem Gutachten, das gestern in Berlin Bundesforschungsministerin Edelgard Buhlmahn (SPD) und Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) für die Bundesregierung in Empfang nahmen.

„Seit Beginn der Industrialisierung hat sich die mittlere gloabe Temperatur bereits um 0,6 Grad Celsius erhöht“, sagte Dr. Hartmut Graßl, Vorsitzender des WBGU. „Eine globale Erwärmung ist noch um höchstens 1,4 Grad tolerierbar, ansonsten werden gefährliche Klimaänderungen immer wahrscheinlicher.“ Diese Marke werde dieses Jahrhundert erreicht, wenn nicht die international vereinbarten Klimaziele deutlich höher gesetzt würden als bisher. Daher muss nach Ansicht der Experten der globale Ausstoß an Kohlendioxid um 45 bis 60 Prozent bis 2050 im Vergleich zu 1990 verringert werden. Dies bedeute, dass die Industrieländer ihre Emissionen des Treibhausgases um mindestens 20 Prozent bis 2020 senken müssten.

Im Rahmen des Kioto-Protokolls haben sie sich bisher lediglich dazu verpflichtet, ihre Emissionen bis 2012 um 5 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Das Kioto-Protokoll sei daher nur ein erster kleiner Schritt, um den Temperaturanstieg in den Griff zu bekommen, so der Beirat. Zudem ist die Vereinbarung von Kioto noch nicht wirksam, da Russland bislang nicht unterzeichnet hat. „Über Kioto hinaus: Klimaschutzstrategien für das 21. Jahrhundert“ lautet daher auch der Titel des Papiers.

Wege zu einem sichereren Klima führen demnach über einen überproportionalen Einsatz der Industriestaaten. Den ärmeren Ländern müsse zunächst ein Anstieg der Emissionen erlaubt sein, da ihnen sonst Entwicklungschancen genommen würden. Bis zum Jahr 2050 aber sollten sich die Pro-Kopf-Emissionen weltweit angleichen. Zudem müsse zusätzlich zum Kioto-Protokoll ein Anreiz geschaffen werden, natürliche Kohlenstoffvorräte, wie etwa Wälder, zu erhalten.

Die Bundesregierung hat sich bislang nicht eingestanden, dass sie ihr eigenes Klimaziel, nämlich die CO2-Emissionen um 25 Prozent bis 2005 gegenüber 1990 zu senken, wohl nicht schaffen wird. Trotzdem macht Trittin sich die Empfehlungen des Rates zu Eigen: „Das Gutachten stärkt uns in dem Bemühen, ehrgeizige Minderungsziele für die Europäische Gemeinschaft zu erreichen.“

Ob angesichts von Kioto und dem kaum zu schaffenden deutschen Klimaziel die Forderungen des WBGU nicht illusionär sind? Nein, meint Graßl. Bei wichtigen Änderungen müssten nicht immer alle Staaten mitmachen. Außerdem sei der Druck auf die Industrienationen sehr hoch, da von den Klimaveränderungen betroffene Länder wie Tuvalu oder die Malediven Kompensationen vor dem Internationalen Gerichtshof erwirken wollen. Und für Deutschland sei das Ziel, bis 2012 seine Treibhausgas-Emissionen um 21 Prozent gegenüber 1990 zu senken, viel wichtiger, als die 2005-Marke.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen