: „Macht jetzt Küblböck die Musik?“
Die Berliner Symphoniker proben, und sie proben den Aufstand gegen die geplante Abwicklung. Musiker und Intendant sind sauer auf den Senat, weil das „soziale Orchester“ mehr als Beethoven im Repertoire hat. Es ist eine pädagogische Institution
von ROLF LAUTENSCHLÄGER
Mitten in Revueltas’ Sensemayá-Thema haben die Berliner Symphoniker plötzlich Schwierigkeiten. Lief es vorher geradewegs ohne große Probleme vom Blatt, wurden Mozart, Beethoven oder Elgar – mit ein zwei, drei Korrekturen – nach dem Geschmack des Dirigenten interpretiert, so hackt Enrico Delamboye jetzt auf jeder Note herum. „Meine Damen und Herren“, tönt er, „es ist gaaanz einfach: Ba-ba-bababa. Noch einmal vom 36. Takt, bitte.“
Wieder richten sich die Geigenbögen auf, wieder wird geprobt, geprobt und geprobt für das Konzert in der Philharmonie am Wochenende. „Und Ba-ba-bababa“, schallt es laut erneut vom Dirigentenpult. Andreas Moritz, Trompete, wippt mit dem Fuß im Takt, um ein Gefühl von Sicherheit für die komplizierte Tonfolge zu kriegen. „Verdammt schwer, jeder Takt ist anders, eine Urwaldmusik“, meint er. Zu Hause wird er das Blasinstrument hervorholen müssen, damit es sitzt.
Eigentlich hat Moritz, der zugleich als Sprecher des Orchesters fungiert, nicht unbedingt Zeit zum Üben. Außer mit Revueltas’ Noten kämpfen er und das Orchester noch gegen wesentlich problematischere Tonlagen: nämlich gegen politische und finanzielle aus dem Roten Rathaus. Der rot-rote Senat plant, im Kulturbereich weitere Millionen Euro einzusparen. Nichts Besonderes in Berlin derzeit. Aber seit der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), sein Finanzsenator und selbst Kultursenator Thomas Flierl (PDS) sich die Berliner Symphoniker als Bauernopfer ausgesucht haben und 2004 deren Etat von 3,3 Millionen Euro streichen wollen, gleichen die Proben der Musiker Gewerkschaftsveranstaltungen.
Besonders regt die Symphoniker Wowereits Satz von voriger Woche auf, wo der Regierungschef die Chancenlosigkeit zur Rettung der Musiker ausplauderte. Im noblen Übungsquartier in der Lankwitzer Siemens-Villa fallen jetzt in den Orchesterpausen höchst unfeine Worte über Wowereit. Man rechnet mit ihm im Besonderen und der Landespolitik im Allgemeinen ab. „Der Senat versucht, der Stadt einen Teil ihrer kulturellen Identität zu nehmen“, poltert ein Streicher. „Haben Wowereit und Sarrazin noch immer nicht begriffen, dass Einsparungen an der Kultur an die Substanz des Landes gehen?“ „Kultur muss gehalten werden, seit es keine Industrie mehr gibt.“ Man spricht von einer „Zerschlagung des Klangkörpers“ und wettert wütend dagegen, dass Kultur in Berlin „mehr über Superstars und Bohlen“ als über klassische und moderne Musiktraditionen definiert wird. „Wollen wir, dass Küblböck jetzt die Musik in Berlin macht?“
„Das macht uns wütend“, sagt Orchestervorstand Moritz und diskutiert mit den Kollegen über Widerstandsformen, Kettenbriefe und andere Aktionen, „sogar im Parlament“. Moritz spricht von einer „Grundtraurigkeit unter den Musikern“, die sich seit der Senatsbekundung über das Orchester gelegt habe. Man könne nur noch „den Kopf schütteln über dessen Kulturverständnis“.
In der Tat beabsichtigt die Regierung nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs, die Sparvorgaben jetzt an die Orchester weiterzugeben. Dass dabei ausgerechnet die Berliner Symphoniker vor die Flinte des Finanzsenators geraten sind, schien evident.
Von den acht in Berlin ansässigen Orchestern gehören die Symphoniker nicht zu den kulturellen „Leuchttürmen“, verteten auch nicht unbedingt das Image der Philharmoniker mit Sir Simon Rattle oder der Staatskapelle mit Daniel Barenboim. Kent Nagano ist eben renommierfähiger als das Landesorchester. „An die traut man sich nicht heran“, konstatiert Jochen Thärichen, Intendant der Berliner Symphoniker e. V. „Der Senat will erst mal die Kleinen platt machen.“
Gleichzeitig wehrt sich der Intendant gegen den nachrangigen Ruf seines Orchesters, das man weder aus künstlerischen noch und sozialen Gründen „zur Disposition“ stellen dürfe. Denn richtig sei, dass die Symphoniker im Schatten der Großen mit einem großen Repertoire der Moderne und zahlreichen Tourneen in Berlin und im Ausland zu Ruhm und Ehre gelangt sind. Hinzu kommt, dass die Symphoniker „ein soziales Orchester“ seien, sagt Thärichen – in Zeiten sozialer Krise ein nicht mehr salonfähiges Argument.
Dass die Regierung nun gerade dieses vom „Parlament per Vertrag verlangte“ Engagement kippen möchte, müsse man sich doch „auf der Zunge zergehen lassen – oder will man 60 Leute in die Arbeitslosigkeit schicken, die Schulen, Musikstudenten und den Nachwuchs ignorienen?“, fragt Thärichen.
Außer der hohen Auslastung bei den Konzerten von 80 Prozent und den im Vergleich günstigen Eintrittpreisen legen die Symphoniker als Landesorchester spezifischen Wert auf die Kultur- und Nachwuchsförderung. Bei 300 Diensten pro Jahr wurden etwa 2002 26 Konzerte in Berlin vor 33.400 Besuchern veranstaltet. 190 Einsätze in Schulen mit Instrumentenkunde, Musikunterricht und kleinen Konzerten kamen dazu – eine beinahe unverzichtbar gewordene Aktivität angesichts des sich verringernden Angebots mit Musikunterrichts an Schulen.
Thärichen präsentiert zudem öffentliche Generalproben sowie Nachwuchsdirigenten und -musiker aus den Musikklassen der Universität der Künste und der Hochsschule für Musik Hanns Eisler. Schlagzeilen macht man damit freilich nicht, auch nicht unbedingt Zeilen im Feuilleton, wo mehr von furiosen Auftritten Rattles oder dem Gehalt Barenboims zu lesen ist – und manchmal doch vom populären Sound der Symphoniker vor 3.500 Kindern in der Philharmonie oder einem mäßig besuchten Nationalen-Einheits-Konzert im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt.
Dennoch: Als Botschafter Berlins auf Auslandstourneen und für die hiesige Aufgabe bleiben die Symphoniker unverzichtbar, meint Alice Stöver, grüne Vorsitzende des Kulturausschusses im Landtag. Das Interesse an dem Orchester sein „deutlich gestiegen“. Der Abwicklungsplan aufgrund schlechter Haushaltsführung bedeute eine „schallende Orfeige“ für den Senat selbst, der nicht begreife, wie Kulturförderung „zukunftsfähig“ zu gestalten sei. Durch Schließung jedenfalls nachhaltig nicht. Ströver: „Mit 3,3 Millionen Euro ist dieses Orchester sehr viel preiswerter als die anderen. Und es weckt Verständnis und Freude an klassischer Musik bei Kindern und Jugendlichen. Und diese Kinder sind die Konzertgänger von morgen.“
Thärichen und sein Orchestervorstand Moritz hören das gern, wenn „für das Orchester für die Basis“ gestritten wird. Unbeirrt bastelt der Intendant an dem Spielplan für 2004 und darüber hinaus – obwohl „keine Planungssicherheit besteht“. Das Orchester sei „kampferprobt“, habe sich schon 1998 nach heftigen Tarifkämpfen und der angedrohten Auflösung durch CDU-Kultursenator Peter Radunski erfolgreich gewehrt.
Zudem sieht man sich – wie schon 1998 – vom jüngsten Vorschlag der anderen Berliner Orchester unterstützt, die auf 12 Prozent ihres Gehalts (macht 3,3 Millionen Euro) verzichten wollen, um die Symphoniker zu retten. Ein Pyrrhussieg, denn die Solidarisierer verknüpfen damit eine Kündigungssperre bis 2009 und die Anwendung des Berliner Tarifvertrags. Es geht also um Eigennutz. Hinzu kommt, dass im Haushalt Flierls wohl ein Loch von rund 6 Millionen Euro klafft. Ein Riesenloch also, das sich ohne politische Hilfe kaum überspielen lässt.
Am Ende der Probe kehrt wieder Ruhe in das Orchester ein. Revueltas wird man schon hinbiegen beim Konzert. Keine Frage für die Profis. Aber einer sagt einen entscheidenden Satz: „Es wird sauschwer.“ Was, lässt der Violinist offen: Das Stück, die Zukunft, beides?
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