: So klappt’s mit dem Muslim
Kleiner Knigge für ein besseres Zusammenleben mit den muslimischen Mitbürgern
B wie Beziehung
Ein Deutscher verliebt sich in ein Mädchen aus einer traditionellen türkischen Familie. Bekommt der Ärger mit dessen Brüdern? Oder mit dessen Vater?
Songül: Eigentlich bekommt vor allem das Mädchen die Probleme mit seiner Familie. Oft werden die türkischen Töchter von ihren Vätern verprügelt, wenn die dahinter kommen, dass sie etwas mit einem Deutschen haben. Das entehrt die Familie. Wenn es dir ernst ist, hast du allerdings eine gute Möglichkeit: Du kannst dich beschneiden lassen und zum Islam konvertieren. Damit knackst du sogar einen Imam. Dabei muss man aber wissen, dass die türkischen Mädchen eigentlich auch Freunde haben und auch Sex. Aber das geschieht alles sehr heimlich. Türkische Jungs sollen übrigens durchaus Beziehungen mit deutschen Frauen vor der Ehe haben, um Erfahrungen zu sammeln. Aber nicht mit türkischen Mädchen, denn die sollen ja Jungfrauen bleiben.
B wie Blick
Wie intensiv darf der Blickkontakt sein, ab wann wird er als Provokation empfunden?
Gelaal: Der orientalische Mann wird eher „Was guckst du?“ fragen als der westliche Mann. Es kommt aber auch immer darauf an, wie der Blick ist: freundlich, neugierig, provozierend oder böse.
B wie Bratwurst
Darf ich inmitten von Muslimen eine Bratwurst aus Schweinefleisch essen?
Ali: Es gibt viele Muslime, die das Schweinefleischverbot sehr dogmatisch handhaben – es ist eine Attitüde. In Istanbul hingegen gilt Schweinefleisch als schick: Es ist teuer und verheißt europäisches Flair.
Onur: Mein Vater hat mir beigebracht, dass man in der Öffentlichkeit überhaupt nicht essen sollte: Die anderen könnten hungrig sein und beim Anblick des Essens leiden.
F wie Flirten
Ich treffe eine umwerfende Frau, die ein Kopftuch trägt. Darf ich mit ihr flirten?
Onur: „Das Kopftuch ist doch keine unüberbrückbare Barriere. Viele Menschen sind zu sehr an der Optik orientiert. Für die bedeutet Kopftuch gleich Unantastbarkeit. Das ist aber Unsinn. Es ist die Angst vor dem Fremden und Ungewohnten, die dann eine Assoziationskette auslöst, die über strenge Väter, rachsüchtige Brüder bis hin zum islamischen Fundamentalismus reicht. Ich erinnere mich noch an einen Typen, Deutscher übrigens, der wollte mit mir flirten, und die erste Frage, die er stellte, war: Hast du einen Bruder? Die Sache war gelaufen. Diese Frage war der absolute Flirtkiller!
Songül: Du kannst mit ihr flirten. Und wenn sie dir auch in die Augen sieht, dann hat sie Interesse an dir. Flirten ist nämlich sehr einfach mit traditionellen Türkinnen: Wer guckt, hat Interesse, wer nicht guckt, hat kein Interesse. Das erklärt auch, warum türkische Jungs manchmal aufdringlich wirken: wenn eine Frau ihnen in die Augen schaut, können sie nicht verstehen, wenn sie dann doch kein Interesse hat.“
H wie Homo
Kann ein Homosexueller Hand in Hand mit seinem Freund durch ein muslimisches Viertel laufen, oder geht er dabei ein Risiko ein?
Ali: Die Männerliebe ist in islamisch geprägten Gesellschaften nicht unbekannt, aber total tabuisiert. Weil viele dem Phänomen so nahe stehen, müssen sie sich abgrenzen. Daher kommen vor allem die Reaktionen türkischer Männer auf schwule Pärchen. In welcher Gesellschaft man sich outet, das muss letztlich jeder selbst wissen. Aber eigentlich sollte niemand Angst haben müssen, wenn er das in muslimisch geprägten Vierteln tut.
Onur: Diese Homophobie ist schon ambivalent. In türkischen Medien ist Schwulsein zum Beispiel total hip. Da muss man sich nur mal die Moderatoren des türkischen Musikfernsehens anschauen. Dadurch, dass es aber ein so großes Tabu in der Gesellschaft ist, wollen gerade traditionell geprägte Familien nichts damit zu tun haben.
K wie Kippa
Ein Mensch jüdischen Glaubens läuft mit einer Kippa bekleidet durch ein muslimisches Viertel. Muss er sich fürchten?
Ali: Ich glaube, auch hier muss man differenzieren: Leute, die weniger gebildet sind, sehen das als Provokation. Andere nicht.
Onur: Gerade unter palästinensischen Jugendlichen gibt es eine starke Anti-Israel-Haltung. Es wird massive Kritik an der israelischen Politik geübt. Dieses einseitige Bild wird aber auch geprägt von al-Dschasira. Dort werden nur Einzelphänomene gezeigt. Das schaukelt die Stimmung hoch.
L wie Lärm
Stimmt es, dass Türken lauter sind als die Deutschen? Und warum?
Songül: Das stimmt. Die Türken sind viel gesprächiger als die Deutschen. Sie drücken ihre Gefühle mit der Sprache und auch deren Lautstärke aus. Mein deutscher Freund denkt immer, dass ich mit meiner Familie streite, wenn wir uns nur erzählen, was wir erlebt haben. Im Vergleich zur Türkei herrscht in Deutschland Totenstille.
Onur: Manchmal fühle ich mich gezwungen, laut zu reden, weil meine Mitmenschen aufgrund der optischen Wahrnehmung meines türkischen Hintergrunds glauben, ich rede missverständlich. Ich bemühe mich dann immer, besonders deutlich und laut zu reden.
Ali: Ich wurde zu Ruhe und Zurückhaltung erzogen – es ist eine Frage der Erziehung und der Herkunft. Um Ruhe zu bitten ist kein Problem, sondern eine Frage der Zivilcourage.
M wie Machismo
Muslimische männliche Jugendliche fallen oft durch ein ausgeprägtes Macho-Gehabe auf. Muss man das ernst nehmen?
Onur: Dieser Machismo bedeutet eine fehlende Souveränität im Umgang mit der eigenen Identität. Es ist ein ödipaler Konflikt – Muslime sind sehr mutterabhängig.
Ali: Diese extreme Form des Machismo ist auch ein Diaspora-Problem: Zu kickboxenden Granaten wurden muslimische Jugendliche eigentlich erst in der Fremde. Es geht dabei tatsächlich auch um die Beherrschung der Straße – die man nicht den Skinheads überlassen möchte.
Songül: Wenn dir so eine Macho-Gruppe entgegenkommt, dann wechsle bloß nicht auf die andere Straßenseite – das würden sie als Ablehnung interpretieren. Türkische junge Männer sind extrem paranoid. Auch durch die Gruppe solltest du nicht gehen, sonst fragen sie sich: Will der sich zwischen uns drängen? Wir sind eine starke Gruppe, stärker als ganz Deutschland. Und so weiter. Nein, das Beste ist, ganz normal freundlich zu sein, seinen Weg zu gehen aber auch der Gruppe Platz zu machen, wenn nötig.“
M wie Männercafé
Ist man als Deutscher in einem muslimischen Männercafé willkommen? Und als Frau?
Songül: Nur als Mann. Als Frau kommst du gar nicht erst rein. Und Bier ist in diesen Vereinen nicht so angesagt – viele schenken nur Tee aus. Hier treffen sich die Männer, um Karten zu spielen. Es ist eine Art Männerkindergarten. Wenn du da als Deutscher hineingehst, dann werden dich wahrscheinlich zunächst mal alle komisch anschauen: Warum dringt der hier in unseren Bereich ein, den einzigen Bereich, in dem wir frei sind von unserer Unsicherheit und dem Gefühl der Unterlegenheit? Sie lehnen den Fremden ab, weil sie gewöhnt sind, von ihm abgelehnt zu werden. Wenn du aber nett fragst, ob du dich setzen darfst, dann wird dir sicher sofort jemand einen Platz frei machen.
Onur: Das Neonröhrencafé ist das Äquivalent zur deutschen Eckkneipe. Es ist ein Ort für Randständige, dort sollte überhaupt niemand hingehen. Die hängen da nur rum, anstatt sich um ihre Familien zu kümmern.
M wie Minirock
Darf ich als junge Deutsche mit Minirock durch ein muslimisch geprägtes Viertel laufen? Oder wird das als Provokation verstanden?
Ali: Unbedingt! Sie sollen Miniröcke tragen. Das ist eine Anreicherung für unsere Seele. Jeder darf anziehen, was er oder sie will. Der Minirock bedeutet für mich nicht gleich, dass die Frau billig ist.
Gelaal: Ich glaube schon, dass eine Frau mit Mini eher angesprochen wird als eine in Jeans. Insofern verstehen es vielleicht manche Männer schon als Einladung zum Kontaktaufbau.
Onur: Das ist aber keine kulturelle Grenze. Wenn ich einen kurzen Rock trage, werde ich auch blöd angemacht. Und zwar von Deutschen.
Songül: Spätabends ist das vielleicht keine so gute Idee. Wenn ein deutsches Mädchen da allein steht, wird sie gnadenlos angemacht. Und wenn sie darauf nicht eingeht, dann kann es schon sein, dass ein Schimpfwort fällt.
O wie oben ohne
Sollte ich mich als junge Frau oben ohne auf dem Balkon sonnen, wenn die türkischen Nachbarn zusehen können?
Songül: „Kannst du machen. Aber die Männer werden dich bestimmt anstarren. Ärger bekommst du mit deren Frauen. Es ist eine seltsame Moral: Traditionelle Türkinnen verzeihen ihren Männern Frauengeschichten, denn es wird dem Mann zugestanden, dass er einen starken Sexualtrieb hat und diesen auch ausleben muss. Schuld ist immer die Frau, die den Mann gereizt hat.
S wie Sonnenblumenkerne
Viele Muslime kauen Sonnenblumenkerne und spucken die Reste auf den Boden. Darf man da sagen: „Das nervt.“?
Ali: Das mit den Sonnenblumenkernen ist ganz unterschiedlich. Nicht jeder von uns kaut sie. Im Großen und Ganzen ist das eine Gewohnheits- und Erziehungssache. Manche wollen damit auch provozieren. Das sind diejenigen, die alles aus einer Antihaltung heraus machen.
Onur: In Istanbul würde man das nicht erleben. Wenn dort jemand im Bus ausspuckt, würde er aus dem Bus geschmissen. Hier ist das aber auch kein rein muslimischer Trend mit dem Kernekauen.
S wie Sportunterricht
Wenn muslimische Eltern ihre Töchter vom Sport befreien lassen, muss man sich dann einmischen?
Ali: Wenn das Kind damit ausgegrenzt wird, sollte man auf jeden Fall das Gespräch mit den Eltern suchen. Es geht dabei auch um Aufklärungsarbeit, oft wissen die gar nicht, was sie machen.
Gelaal: Es sollte jedoch ein Türke oder Araber sein, der mit den Eltern spricht. Ein Vorstoß von deutscher Seite könnte als Anmaßung missverstanden werden. INTERVIEWS: MARTIN REICHERT
MICHAEL LÜNSTROTH, STEFAN KUZMANY
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