: „Die Ungebildeten bleiben außen vor“
DEMOKRATIE Können die großen Volksparteien überhaupt noch integrativ wirken? Sind sie noch Medium der Teilhabe? Franz Walter hat eine Geschichte ihres Auf- und Abstiegs geschrieben
■ ist Professor für Politologie an der Uni Göttingen und leitet dort die „Arbeitsgruppe für Parteien- und Politische Kulturforschung“
■ „Im Herbst der Volksparteien? Eine kleine Geschichte von Aufstieg und Rückgang politischer Massenintegration“. Transcript Verlag, Bielefeld 2009. 136 Seiten, 14,80 EuroFoto: Marc Darchinger
taz: Herr Walter, wie steht es um die Volksparteien? Erleben wir ihren Niedergang?
Franz Walter: Zumindest bis in die späten 90er-Jahre war es so, dass wenn eine Volkspartei ein Problem hatte, die andere davon profitierte; das ist vorbei. 1998 gab es noch einmal die Hoffnung, dass etwas ganz anderes entstehen kann, wenn eine Partei sich regeneriert, mit neuer Mannschaft und neuem Konzept kommt. So mit dem „rot-grünen Projekt“. Diese Hoffnung wurde enttäuscht. Seitdem hat sich die Gesellschaft noch einmal stark gefächert und die Parteien sind volatiler geworden.
Sie sagen, die Volksparteien haben ihren Status als Institution verloren. Warum?
Die Union ist weniger Institution gewesen, dadurch war sie beweglicher und erfolgreicher. Die SPD war von Anfang an viel mehr Institution. Sie ist die älteste Partei, die schwere Krisen überstanden hat, war aber oft sehr unbeweglich. Jetzt ist sie tatsächlich kaum noch eine Institution; daher konnte sie auch erratische Politikwechsel machen – aber man hat den Eindruck, dass sie sich deshalb auch in ihre Bestandteile zerlegen könnte. Volksparteien als kulturell aufgeladene Institutionen, mit symbolischen Überschuss, sind ja deshalb entstanden, weil sie über lange Jahrzehnte bedrängt waren. Aber die Sozialdemokraten oder Christdemokraten leben nicht mehr in einer Auseinandersetzung mit anderen, sondern verkörpern die Mitte der Gesellschaft, und dadurch ist das Institutionelle, die kulturelle Aufladung einfach weniger nötig.
Kann eine funktionierende Zivilgesellschaft die Parteien ersetzen?
Die Experten raunen seit drei Jahren besorgt, dass das Engagement in der Zivilgesellschaft abgenommen hat. Vorher hieß es, die Leute gehen nicht in Parteien, aber zu Greenpeace, Attac oder sonst wo hin. Das stimmt natürlich überhaupt nicht.
Sondern?
Schon damals waren es kleine gebildete Minderheiten, die sich engagierten. Das ist ein grundsätzliches Problem der organisierten Zivilgesellschaft. Sie bietet Foren für die akademische Mittelschicht! Vieles, was wir beklagen, wie die politische Nichtbeteiligung des unteren Drittels oder der Bildungsbenachteiligten, ist in der Zivilgesellschaft noch viel größer. Dort setzt sich der durch, der stärkere Ressourcen hat, gut reden und sich über Netzwerke organisieren kann – und die anderen bleiben außen vor.
Ihr Buch endet skeptisch. Fürchten Sie, dass in Deutschland – so wie in Österreich – rechtspopulistische Parteien stärker werden?
Die Verhältnisse in Deutschland und Österreich sind so furchtbar anders nicht, dass das ganz auszuschließen wäre. Wir sagen immer, die deutsche Geschichte belastet uns erheblich mehr. Die Medien sind hier elektrisierter und, zu Recht, puritanischer. Aber ich habe in der Tat ein bisschen Sorge. Man hat in Österreich das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt, und seitdem sind die rechtspopulistischen Parteien stärker geworden. Früher hieß es: Die Jüngeren sind immer besser gebildet, haben über Schüleraustausch oder Urlaubserfahrungen andere Ländern kennen gelernt – und deshalb wird das alles mal einfach weg sein. Das Gegenteil ist der Fall! Gäbe es ein rot-rot-grünes Projekt, befürchte ich, dass rechts etwas zu sammeln wäre.
INTERVIEW: RAINER KÜHN
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