: Ohne Strategie ins letzte Gefecht
VON ROBIN ALEXANDER
Gregor Gysi wird morgen das St.-Gertrauden-Krankenhaus verlassen. Vor zwei Wochen wurde der PDS-Politiker im katholischen Hospital in Berlin-Wilmersdorf an einem Blutgefäß im Gehirn operiert. Während des Eingriffs erlitt der 56-Jährige einen Herzinfarkt. Wenige Tage später beschreibt ein PDS-Sprecher einen Patienten auf dem Weg der Besserung: „Gysi ist sehr munter. Er liest Zeitung, bewegt sich, macht Gymnastik und empfängt Besuch.“
Der Genesungsprozess des langjährigen Marlboro-Rauchers ist eine zumindest parteiöffentliche Angelegenheit geworden, weil die PDS von ihm ihre Strategie für den Bundestagswahlkampf 2006 abhängig macht.
Fraglich ist nicht nur, ob Gysi kann, sondern auch, ob Gysi will. „Ich lasse die Frage offen, bis sie zu entscheiden ist“, hat er zuletzt dazu gesagt. Zu Zeitpunkt und Kriterien seiner Entscheidung machte er allerdings nur Andeutungen.
Wie soll die Partei mit so einer Situation umgehen? Lothar Bisky, der Parteivorsitzende mit Neigung zum Zaudern, will einfach abwarten. Andere drängen hingegen darauf, schon jetzt die Weichen für die Bundestagswahl zu stellen – mit oder ohne Gysi.
Da sind zum Beispiel die ostdeutschen Fraktionsvorsitzenden. Die Erneuerung der Partei geht ihnen nicht schnell genug: „Wir sind noch nicht ausreichend vorangekommen“, klagt Stefan Liebich, Partei- und Fraktionschef in Berlin, wo die PDS im Senat mitregiert. Liebich und Co. wollen die PDS entideologisieren und stärker pragmatisch ausrichten, etwa mit einem ernst zu nehmenden eigenen Steuerkonzept.
Und die sechs mehrheitlich jungen Ostchefs wollen nicht nur inhaltlich aufräumen: „Vor allem Menschen, die schon Verantwortung getragen haben“, möchte Liebich für den Bundestag nominieren. „Nicht mehr irgendwelche Linksradikalen, die nichts mir der realen PDS zu tun haben.“ Ein deutliches Nein in Richtung der ehemaligen PDS-Bundestagsabgeordneten, die von einer Rückkehr ins Parlament träumen.
Im Falle einer Absage Gysis hat zumindest ein Teil der Sechserbande weitergehende Personalpläne: Danach soll der thüringische Fraktionschef Bodo Ramelow die Partei in den Bundestagswahlkampf führen und im Erfolgsfall auch Fraktionsvorsitzender werden. „Das ist heute noch nicht mein Thema“, wiegelt der 48-Jährige ab. Aber seine Vorstellungen konkretisiert er schon: „Wir brauchen 25 Prozent im Osten und 2 Prozent im Westen“, erklärt Ramelow, der nach der Wende ins Beitrittsgebiet einwanderte: „Dazu will ich die innerdeutsche antikommunistische Hemmschwelle abbauen.“
Doch noch bremst Parteichef Bisky die Provinzgrößen. „Die Führung des Wahlkampfes ist ein ungelegtes Ei“ dementiert sein Sprecher Meldungen Thüringer Zeitungen, der PDS-Bundesvorstand habe Ramelow beauftragt, den Wahlkampf 2006 zu managen. Tatsächlich wird darüber erst Mitte Dezember entschieden.
Aber ist der Vorstand überhaupt noch maßgeblich? Am 1. Dezember treffen sich die Fraktionschefs wieder – nicht zufällig im thüringischen Elgersburg. Hier wird – in Gysis Abwesenheit – auch eine Teamlösung erwogen werden: Gysi könnte 2006 noch einmal das Zugpferd geben: Er soll den Karren ziehen, aber auf keinen Fall mehr lenken: Als völlig deplatziert empfanden die Landesfürsten, dass Gysi auf dem letzten Parteitag offen Personalpolitik betrieb und die Rückkehr seiner alten Gefährten Dietmar Bartsch (Ex-Bundesgeschäftsführer) und Roland Claus (Ex-Fraktionschef) an die Parteispitze forderte. „Ein zurück in die Zeiten, als fünf Männer um Gysi alles alleine regelten, wird es nicht geben“, warnt Stefan Liebich jetzt schon.
Warum ist Gysi eigentlich so unverzichtbar für 2006? Nicht die PDS, sondern Rot-Grün braucht ihn – als geistreichen linken Widerpart im Bundestag. Diese Message soll Linksliberale bewegen, PDS zu wählen. Dazu soll ein vermeintliches Vakuum beredter linker Vertreter im Parlament betont werden. Kalamität am Rande: Die im Bundestag verbliebenen zwei PDSlerinnen stören dabei. Schon vor Monaten erklärte Gysi bei einem Gespräch im Café Einstein der PDS-Abgeordneten Gesine Lötzsch, was er von ihr und ihrer Kollegin erwartet: „Ihr müsst vor allem deutlich machen, dass ihr beide im Bundestag überhaupt gar nichts bewegen könnt.“
Die Profilierung der beiden Frauen hat Gysi nach Kräften behindert. Vor allem Petra Pau ist zunehmend genervt. „Was plant Genosse Gysi diesmal während meiner Rede?“, fragte sie die Parteitagsregie ironisch vor dem letzten Sozialistentreffen. Am Ende sprach Gysi selbst dreimal so lange wie vorgesehen und hielt eine improvisierte Pressekonferenz, just als Gesine Lötzsch ans Mikrofon trat – und verdarb ihr damit bewusst den Auftritt.
Lötzsch fragt: „Was machen wir eigentlich, wenn Gysi doch nicht antritt? Den Laden schließen?“, und mahnt den Vorstand, aktiv zu werden: „Die PDS wäre bescheuert, sich in eine Position zu bringen, in der nur noch alles auf Gysi starrt.“
Viele Genossen irritiert, dass Gysi nicht schweigt, sondern sich bis zu seinem Krankenhausaufenthalt in ständigen Andeutungen erging. Offen artikulierte er die Hoffnung auf ein Bündnis mit einer westdeutschen Wahlalternative. Außer ihm halten die aber eigentlich alle Genossen für ein Glasperlenspiel. Tatsächlich wird die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung von der PDS-Führung sogar gedrängt, organisatorische Hilfen für die Organisationen der SPD-Dissidenten im Westen einzustellen.
Gysi hingegen hofft, ähnlich wie Oskar Lafontaine, immer noch auf eine neue politische Situation nach der Landtagswahl in NRW im Herbst 2005. Wie die Ostpartei in ihre Schicksalswahl 2006 geht, könnte sich also tief im Westen entscheiden.
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