: Fit durch Fernsehen
Vor über 30 Jahren animierte der Bayerische Rundfunk erstmals zur Tele-Skigymnastik. Heute wird überall gegen Polster und Wehwehchen geturnt
aus der Abfahrtshocke JUTTA HEESS
Die letzen zwei Minuten waren immer die schlimmsten: In der Eihocke und mit wippenden Knien schoss man den Hahnenkamm runter – bis die Oberschenkel brannten und die Zieleinfahrt auf dem TV-Bildschirm die Erlösung brachte. Ungewöhnlich war es schon, dass man im Wohnzimmer ins Schwitzen geriet. Die halbe Stunde Tele-Skigymnastik schlauchte sowohl Couch-Potatoes als auch halbwegs Durchtrainierte.
Angefangen hat alles 1967. Damals erarbeitete Manfred Vorderwülbecke, Sportreporter beim Bayerischen Rundfunk (BR) und ausgebildeter Skilehrer, ein Winter-Trainingsprogramm, das die Zuschauer aus dem Sessel auf die fiktive Piste lockte. Die Mattscheibe wurde zum Fitnessstudio, im dem Sportler dem Publikum Übungen vorhüpften und Anweisungen zur Umsteige- und Wedeltechnik gaben. „So etwas hat es zuvor noch nicht gegeben“, sagt Vorderwülbecke heute. Ja, er sei schon ein bisschen stolz, dass er dieses Format erfunden habe, gibt der 64-Jährige zu.
Besonders Mitte der 70er-Jahre wurde die Tele-Skigymnastik populär: Der Skisport boomte, und der BR konnte Skiasse als Vorturner verpflichten: Franz Klammer, Toni Sailer, Hansi Hinterseer, Rosi Mittermaier. „1976 haben wir mit der Rosi Gymnastik gemacht, nach ihren Olympiasiegen“, erinnert sich Vorderwülbecke. Und auch musikalisch wurden die Turnstunden von prominenter Seite unterstützt: Nachdem in den ersten Jahren auf Volksmusik gehoppelt wurde, griff irgendwann Max Greger ein und lieferte den Bewegungssound. Der Sport auf Knopfdruck war so erfolgreich, dass er auf allen Dritten Programmen lief und sogar Videos und Lehrbücher als zusätzliche Trainingseinheiten produziert wurden.
Im Laufe der 80er-Jahre wurde dann dem von Jane Fonda und Sydney Rome verschuldeten Aerobic-Wahnsinn Rechnung getragen und neben Skigymnastik andere Mitmach-Übungen angeboten. Das Ergebnis heißt heute: Wirbelsäulengymnastik, Problemzonentraining, Hatha-Yoga, Aktiv gegen Osteoporose und Aktiv in den Tag. Die Dritten animieren nach wie vor zum Frühsport: zwischen 6 und 9 Uhr morgens. Produziert werden die mittlerweile auf 15 Minuten gekürzten Sportstunden seit 1991 von der Firma PSF Film und Video in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk. Bis zu 400.000 Zuschauer würden pro Folge einschalten, sagt Christina von Koch von PSF. (Wobei man ja nicht kontrollieren kann, wer wirklich mitturnt oder wer gerade duscht oder gemütlich frühstückt.)
„Die Zielgruppe besteht aus über 50-Jährigen und jungen Müttern, die nicht ins Fitnesscenter gehen wollen.“ Praktisch sei das doch, zu Hause Sport zu treiben, noch dazu kostenlos und abwechslungsreich. Das allerneueste Mitmachprodukt aus dem Hause PSF heißt „Emotional Moves“. „Das ist eine ganz sanfte, weiche, fließende Geschichte, beruhigend und mild, Body-Balance eben“, erklärt von Koch. Klingt eher nach einem Schonkaffee als nach der pflichtbewussten Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Sportauftrags. Und es ist in der Tat ein putziges Körperteilestrecken mit den TänzerInnen Isabella, Lil und Franz sowie Chill-out-Musik.
Dennoch: Der Tele-Sport zum Mitmachen ist eine der konstantesten Sendung im deutschen Fernsehen, auch wenn der Charme der 70er-Jahre mittlerweile dem Fitnesswahn zum Opfer gefallen ist. Aber vielleicht könnte man sie im Zuge der Retrowelle ja mal wiederholen, die alten Gymnastiken mit der Rosi und dem Toni und dem Franz in den Trainingsanzügen, die heute wieder modern sind. Jetzt beginnt doch gerade die Skisaison! Und zwei Minuten Abfahrtshocke im Wohnzimmer ohne fachgerechte Anweisungen können ganz schön langweilig sein.
Wann wo wie geturnt wird unter www.telegym.de
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