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„Enormer Zulauf seit dem Unistreik“

Bella Hemke

„Vor dem Protest wirkte die TU groß und unpersönlich. Mit dem Streik habe ich angefangen, mich mit der Uni zu identifizieren. Ich finde, durch die Solidarität unter den Studierenden ist eine ganz neue Atmosphäre entstanden“„Für mein Ego brauche ich es nicht, mit einem Senator zu reden. Ich habe eine Food-Kooperative aufgebaut und Kontakte zu Ökobauern geknüpft. Das schafft nicht so viel Medienpräsenz, aber politisch fühle ich mich erfüllt“

Berlin im Advent 2003: Studenten liefen nackt herum, weil man ihnen angeblich das letzte Hemd nehmen wollte, blockierten Kreuzungen und Senatsgebäude. Ihren Höhepunkt erreichten die Proteste gegen die Unikürzungen am 26. November 2003. Da erstürmten Studis das Büro von Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS), blieben über Nacht und hielten dort anschließend eine Pressekonferenz ab. Kurz darauf dasselbe beim Finanzsenator. Stets dabei: eine junge Frau mit Rastazöpfen, die ruhig, aber klar und beständig forderte: Weg mit dem Bildungsklau! Bella Hemke, damals 21 und Energietechnikstudentin im 3. Semester an der TU, war eine der eifrigsten StreikaktivistInnen. Ein Jahr später schaut sie zurück – in einer Mischung aus Stolz und Enttäuschung

INTERVIEW STEFAN ALBERTI UND FELIX lEE

taz: Frau Hemke, wo hängen Sie denn in diesen Tagen so herum?

Bella Hemke: Herumhängen? Unser Gespräch fängt ja gut an.

Als wir Sie das letze Mal sahen, hingen sie an Seilen. Erst am Dach der SPD-Zentrale, dann vom Dach der Humboldt-Universität.

Dieser Stahlträger am Willy-Brandt-Haus wartete doch förmlich darauf, dass jemand kommt und sich mit einem Seil dranhängt. Leider droht uns Besetzern nun allen ein Strafbefehl von 300 Euro wegen Hausfriedensbruch.

Es ist genau ein Jahr her, dass Sie – ohne Seil – mit anderen das Büro des PDS-Kultursenators Flierl besetzt haben. Reden wir diesen Jahrestag herbei, oder gibt es ihn für Sie wirklich?

Tut mir Leid, Sie enttäuschen zu müssen, aber für mich ist das kein besonderer Gedenktag. Die Bürobesetzung bei Flierl war ja nur eine Aktion von vielen. Jeden Tag gab es etwas Neues. Höchstens die Leute, die vor dem Roten Rathaus mit einer Dauermahnwache gegen die Kürzungen protestierten, wollen zum Jahrestag des Beginns ihre Aktion wiederholen und dort eine Nacht kampieren. Aber deren Aktion dauerte ja auch sechs Monate.

Unterm Strich gibt es für Sie ja auch nicht wirklich etwas zu feiern. Bei den Kürzungen an den Hochschulen ist es trotz aller Proteste geblieben.

Okay, an den Streichbeschlüssen haben wir nichts ändern können. Aber Erfolge haben wir trotzdem zu verzeichnen. Flierls Studienkontenmodell ist erst mal vom Tisch. Das war ja unsere zweite Forderung. Leider haben das viele Studierende gar nicht mehr mitbekommen, weil das erst im Frühjahr entschieden wurde …

und nur als Akt PDS-interner Opposition gegen Flierl verbucht wurde.

Ohne die Proteste hätte es in der PDS gar keine Mehrheit gegen Flierl gegeben. Ich bezweifle auch, dass der PDS-Parteitag ohne unseren Widerstand überhaupt so großes öffentliches Interesse gefunden hätte.

Dennoch: Das oberste Streikziel haben Sie nicht erreicht.

Wie vielen Studierenden ist auch mir klar, dass Studiengebühren nicht dauerhaft vom Tisch sind, sondern nur auf die lange Bank geschoben wurde. Aber der Streik hat auch anderes bewirkt. Viele von uns haben Erfahrungen gesammelt, die wir sonst nie gemacht hätten. Wir sind viel mehr geworden, die sich auch für politische Prozesse, für Bildungs- und Sozialpolitik interessieren. Viele von uns haben das erste Mal überhaupt über zivilen Ungehorsam nachgedacht. Einige haben ihre Lebensweise komplett umgestellt und versuchen jetzt, alternative Lern- und Lebensformen zu praktizieren.

Dieses gewachsene politische Bewusstsein von Studierenden – wie macht sich der bemerkbar?

In den Protesten, die sich an den Studierendenstreik anschlossen, etwa mit dem Schwarzfahrtag gegen die Abschaffung des Sozialtickets bei der BVG. Diese Proteste wurde auch von uns Studierenden maßgeblich mitgetragen.

Man konnte aber auch den Eindruck haben, dass dieser Schwarzfahrtag bei vielen eher unter „Gaudi und Happening“ lief.

Diesen Eindruck habe ich nicht. Wir haben gezeigt, dass wir uns nicht nur um unsere Unibelange kümmern. Wir verstehen Bildungskürzungen als Teil von allgemeinen Sozialkürzungen. Wir waren auch bei den Demonstrationen gegen Hartz IV dabei.

Gerade auf den Montagsdemonstrationen sind Studenten aber nicht durch Massenpräsenz aufgefallen.

Bei unseren eigenen Demos haben wir immer bedauert, dass nur Studis zusammenkamen. Wir wollten ja ganz bewusst den Protest auch auf andere Sozialbereiche lenken. Obwohl wir auch Schüler mobilisiert hatten und mit Behinderten Aktionen machten, haben wir das leider nie wirklich erreicht.

Dabei wäre der Hartz-IV-Protest im Sommer für die Studis doch ein guter Anknüpfungspunkt gewesen, den Studiprotest wieder aufzugreifen.

Es hört sich vielleicht blöd an, aber es lag an den Semesterferien. Im August, zum Höhepunkt der Montagsdemonstrationen, waren die meisten von uns im Urlaub. Ich war aber ehrlich gesagt schon enttäuscht, dass sich so wenige von uns beteiligt haben.

Wenn der Streik viele Ihrer Kommilitonen so politisiert hat, warum blieb die Beteiligung bei den Wahlen zum Studierendenparlament trotzdem so gering? Und selbst wo es konkret um Geld geht, nämlich bei der Abstimmung über das Semesterticket, beteiligte sich nur jeder fünfte immatrikulierte Student.

Auch beim Streik waren längst nicht alle Studis mit dabei.

Aber ein paar Prozentpunkte mehr müssten es bei den Wahlen ja schon sein, um eine Veränderung zu belegen.

Im Studierendenparlament sitzen jetzt Leute, die vorher nicht politisch aktiv waren und erst zum Streik dazukamen. Und auch die Fachschaften und andere Initiativen verzeichnen seit dem Streik einen enormen Zulauf. Viele dieser Inis existierten vor dem Streik praktisch gar nicht. Entstanden ist zum Beispiel auch die Offene Uni an der Humboldt-Uni, eine Plattform für selbst organisierte Seminare.

Und Sie selbst? Sie machen doch jetzt auch wieder ganz brav Scheine?

Ich habe sogar während des Streiks im Januar Prüfungen gemacht und sogar bestanden. Viele andere auch. Das ist nicht der Unterschied gegenüber der Zeit vor dem Streik.

Sondern?

Ich gehe anders durch die Uni als früher. Vor dem Protest wirkte die TU groß und unpersönlich. Mit dem Streik habe ich angefangen, mich mit der Uni zu identifizieren. Ich finde, durch die Solidarität unter den Studierenden ist eine ganz neue Atmosphäre entstanden.

Streik als Motivator, um bessere Leistungsnachweise zu erbringen?

Bei mir tatsächlich. Anfang des Semesters – das war mein drittes – hatte ich einen richtigen Durchhänger und keine Lust, zu studieren.

Wenn Sie jetzt an Schauplätzen des Protestes vorbeikommen, am Roten Rathaus oder am früheren Streikcafé an der Humboldt-Uni, oder einfach nur in der Ringbahn sitzen, in der es vor einem Jahr „Ring“-Vorlesungen gab – empfinden Sie da Stolz oder Wehmut?

Von beidem ein bisschen, der Stolz überwiegt aber. Während des Streiks konnte ich mir gar nicht vorstellen, dass alles mal zu Ende gehen würde und ich wieder normal studieren würde. Das war ja eine Art Ausnahmezustand. Wer aktiv war, war es von früh bis spät.

Ausnahmezustand – so mutete das auch an, als Sie damals bei Protestaktionen am Seil hingen. Einmal war es weit unter null Grad, da froren einem schon beim Gehen die Hände ab. Wie haben Sie das ausgehalten?

Ich habe viel Ausdauer, das stimmt. Ich habe aber eben auch schon mal erlebt, was man mit Protesten erreichen kann. Mein Schlüsselerlebnis hatte ich in Ravensbrück. Wir hatten damals gegen den Bau eines Supermarkts protestiert, der auf dem Gelände eines ehemaligen Konzentrationslagers entstehen sollte. Wir waren nicht mal 50 Leute. Doch am nächsten Tag standen wir in der Zeitung. Schließlich wurde der Supermarkt auf der anderen Seite der Stadt gebaut. So was motiviert schon.

Über mangelndes Medieninteresse konnten Sie sich auch beim Unistreik nicht beklagen.

Aber die Medien hatten auch entscheidenden Anteil daran, dass der Streik zu Ende ging. Als die Humboldt-Uni beschloss, nicht mehr zu streiken, sondern nur noch zu protestieren, haben die Studis von der FU und der TU am nächsten Morgen gelesen: Der Streik ist vorbei. Dabei hatten die selbst über ihr weiteres Vorgehen noch gar nicht abgestimmt.

Vor einem Jahr haben Sie auf Augenhöhe mit Flierl diskutiert. Die Studenten waren in einer Position, wo der Finanzsenator sich genötigt sah, sie als „Arschlöcher“ zu bezeichnen. Jetzt sind Sie wieder normale Studentin – fehlt Ihnen was?

Dass ich nicht mehr als Arschloch bezeichnet werde? Darauf verzichte ich gern. Nein, für mein Ego brauche ich es nicht, mit einem Senator zu reden. Ich muss nicht ständig im Rampenlicht stehen. Für mich hat sich prinzipiell auch nicht viel verändert. Politisch bin ich genauso aktiv, nur zu anderen Themen.

Zum Beispiel?

Vor ein paar Wochen war ich im Wendland und habe gegen den Castor-Transport demonstriert. Ich habe eine Food-Kooperative aufgebaut und Kontakte zu Bauern geknüpft, die Ökolebensmittel in Berlin vertreiben. Das schafft vielleicht nicht so viel Medienpräsenz, aber politisch fühle ich mich erfüllt.

Wie gehen denn Ihre Dozenten mit Ihnen um?

Auf den Streik bin ich von denen noch nicht angesprochen worden. Das liegt vielleicht auch daran, dass in meinen Vorlesungen mehrere hundert Leute sitzen und die Profs einen gar nicht persönlich kennen. Es gab aber andere Reaktionen. Beispielsweise rief mich ein früherer Lehrer von meinem alten Gymnasium in Prenzlauer Berg an, der mich in der Zeitung gesehen hatte. Er finde es gut, dass wir protestieren, die Lage sei auch an den Schulen katastrophal und wir sollten bloß weitermachen, hat er gesagt.

Es gab aber auch Stimmen, die den Streik mit den Protesten von 68 verglichen und euren Protest belächelten.

Dieser Vergleich war mir egal. Was mich eher belastet, ist die immer wiederkehrende Aussage, die heutige Jugend sei unpolitisch. Wir konnten beweisen, dass wir das nicht sind. Wir waren massiver auf der Straße als bei den Streiks von 1989, 1994 oder 1997. Professoren kamen auf uns zu und behaupteten: Euer Mittel muss doch die Gewalt sein. Das fand ich krass. Immerhin schafften wir es, statt Autos anzuzünden und Fenster einzuschmeißen, mit gewaltfreien und kreativen Aktionen in die Öffentlichkeit zu kommen.

Gab es denn einen Moment, in dem der Protest hätte kippen können?

Ja. Dass sich die SPD in den Streikwochen nicht einmal dialogfähig zeigte, hat viele von uns sehr verärgert. Da drohte unser Protest tatsächlich zu eskalieren.

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