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Ins Internet statt in die Apotheke

EuGH: Rezeptfreie Arzneimittel dürfen in Deutschland auch per Versand gehandelt werden. Ab 2004 gilt das aber ohnehin auch für rezeptpflichtige Pillen. Apotheker fürchten Konkurrenz, Kassen hoffen auf Ersparnisse von bis zu einer Milliarde Euro pro Jahr

VON C. RATHUND U. WINKELMANN

Der Versandhandel für rezeptfreie Arzneimittel durfte in Deutschland nicht verboten werden. Dies entschied gestern der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Streit der holländischen Internet-Apotheke DocMorris mit dem deutschen Apothekerverband. Das Urteil hat aber nur noch wenig praktische Bedeutung, denn zum Jahreswechsel will die Bundesregierung den Versandhandel mit allen zulässigen Medikamenten ohnehin zulassen.

DocMorris ist derzeit unangefochtener Marktführer im Online-Arzneimittelhandel. Die Apotheke sitzt in Landgraaf an der deutsch-niederländischen Grenze und agiert vor allem über das Internet ( www.0800 DocMorris.com ). Nach etwa sieben Tagen erhält der Kunde das bestellte Medikament per Kurierdienst nach Hause. Bei verschreibungspflichtigen Medikamenten muss das Rezept eingeschickt werden, DocMorris rechnet dann mit den Krankenkassen ab. Wurden zunächst vor allem rezeptfreie Medikamente bestellt, sind es in den letzten Monaten mehr chronisch kranke Patienten, die sich ihren regelmäßigen Pharmabedarf frei Haus liefern lassen. Doch der Internet-Kauf ist für die Kunden nicht nur bequemer, sondern auch günstiger. Dank Rabatten und niedrigen Einkaufspreisen konnte DocMorris bisher darauf verzichten, von den Patienten die in Deutschland übliche Zuzahlung zu verlangen.

Der Deutsche Apothekerverband beharrte jedoch darauf, dass der Versandhandel mit Arzneimitteln in Deutschland verboten ist. Die Vertretung der 21.500 deutschen Apotheken sah eine wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung durch den Internethandel gefährdet. Die Apotheken böten individuelle Beratung und sorgten auch für Nacht- und Wochenenddienste.

Der EuGH stellte nun fest, dass das deutsche Verbot des Versandhandels in den freien Warenverkehr eingreift. Zulässig sei ein solches Verbot deshalb nur, wenn es dem Schutz der Gesundheit dient. Bei verschreibungspflichtigen Medikamenten sei ein Verbot gerechtfertigt, so die Richter, weil hier größere Gefahren für den Patienten angenommen werden. Dagegen hielt das EU-Gericht das deutsche Verbot, rezeptfreie Pillen zu versenden, für einen Verstoß gegen EU-Recht. Die nötige Beratung der Kunden könne auch im Internet angeboten werden. So haben Kunden von DocMorris die Möglichkeit, sich an einen „Expertenbeirat“ zu wenden.

Gesundheitsministerin Renate Schmidt (SPD) sieht sich durch das Urteil bestätigt. Mit der Gesundheitsreform wird in Deutschland ohnehin der Versandhandel legalisiert. Er darf allerdings nur von Apotheken durchgeführt werden. Außerdem müssen Etiketten und Beipackzettel in deutscher Sprache abgefasst sein. Bestimmte Medikamente, insbesondere Betäubungsmittel, sollen weiterhin ausgeschlossen sein. Die Reform soll nicht zuletzt Kosteneinsparungen bei den Kassen, von bis zu einer Milliarde Euro pro Jahr erbringen.

Für DocMorris geht das Geschäft erst richtig los. Während für 2003 ein Umsatz von 50 Millionen Euro prognostiziert ist, soll es in fünf Jahren das Zehnfache sein, so Firmen-Chef Ralf Dänighaus. Er rechnet damit, dass es dann drei bis fünf große Versandapotheken in Deutschland gibt. Allerdings können als Folge der Gesundheitsreform künftig auch die konventionellen Apotheken ihre Waren günstiger anbieten, so dass der Wettbewerb in Zukunft wohl stärker über Service- und Beratungsqualität ausgetragen wird.

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