piwik no script img

Blättern und schmökern

Von den Gärten der Zukunft über gebaute Träume aus den Resten einer Ghosttown bis zu Häusern unter 250.000 Euro. Eine Auswahl interessanter Wohnbücher – von druckfrisch bis vergriffen

Gärten als imaginäre Traumlandschaften

„Gärten sind keine Vaterländer.“ Der erste Satz des Schweizer Schriftstellers Martin R. Dean in seinem Essay zu den ausgewählten Arbeiten von Dieter Kienast lässt eine kritische Studienausgabe erwarten. Eine Werkschau des 1998 verstorbenen Zürcher Landschaftsarchitekten hat der Birkhäuser-Verlag bereits schon in drei thematisch gegliederten Bänden sorgfältig ediert, ebenso die gesammelten Schriften.

Die Projekte sind thematisch in Gärten, öffentliche Anlagen und Wettbewerbe gegliedert. Auffallend und befremdend für den Laien ist die fotografische Dokumentation der Freiräume in Schwarz-Weiß. Beim näheren Hinsehen erschließt sich dem Leser jedoch, dass Kienast mit Strukturen wie geschnittenen Hecken, geometrisch geformter Topografie und Materialoberflächen gestaltet. Grün oder gar Blühendes würden vom Konzept ablenken, dessen Umsetzung den in Pflanzensoziologie promovierten Kienast stets gelang. Besonders beeindrucken der Stadtgarten am Bundesarbeitsgericht in Erfurt oder die Grünräume um Tate Modern in London. Der leider nicht abgedruckte preisgekrönte Entwurf für den Moabiter Werder in Berlin 1990, mit dem Kienast in Deutschland bekannt wurde, blieb die Realisierung aufgrund des Hauptstadtbeschlusses des Bundestages versagt; wo ein Park an der Spree entstehen sollte, liegt heute wie eine Festung der so genannte Kanzlergarten.

Die Beschreibungen zu den Projekten sind aus der Werkschau übernommen worden, Kienasts eigene Texte werden ohne erläuternde Kommentare abgedruckt. Einen „Originalbeitrag“ steuert neben Dean auch Udo Weilacher bei. Leider schöpft der frühere Mitarbeiter Kienasts an der ETH Zürich und einschlägig bekannte Fachautor über die Gebühr aus früheren Texten, sodass er bereits Bekanntem nur wenig Neues hinzufügen kann.

Wer die Auswahl der „bedeutendsten Privatgärten und Umweltgestaltungen Kienasts“ vorgenommen hat, bleibt ebenso im Dunkeln wie eine Begründung dafür. Schade auch, dass wir Deans ehrerbietige Schlusssätze zur literarisch geprägten Vision des bedeutenden Landschaftsgestalters in einer Zweitverwertung lesen müssen: „Die zukünftigen Gärten werden imaginäre Traumlandschaften sein. Dass der Mensch in den Gärten zu sich selber komme, wird man auch dann ganz wörtlich nehmen dürfen.“ MIKAS

Martin R. Dean, Udo Weilacher u. a.: „Dieter Kienast“. Birkhäuser Verlag für Architektur, Basel/Boston/Berlin 2004, 304 S., 39,80 €

Utopische Stadtentwürfe als Augenschmaus

Die ideale Stadt ist Augenschmaus, kulturhistorischer Überblick und mahnendes Werk in einem. Rund 300 Abbildungen aus fünf Jahrhunderten veranschaulichen die Geschichte einer Utopie, die die Menschheit von jeher beschäftigt und geprägt hat: die der idealen Stadt und mit ihr einer idealen Gesellschaft. Diesem Ehrgeiz unzähliger Entwürfe entsprechend sind die Bilder durchweg beeindruckend – aber beileibe nicht in allen Fällen paradiesisch verlockend. Ruth Eaton beschränkt sich in ihrem faktenreichen Text nicht auf Architektur und Städtebau. Sie schließt auch Kunst, Philosophie, Literatur und Politik ein – und spannt so in Wort und Bild einen faktenreichen, hintergründigen Bogen. Ein bleibendes Buch zu einem zeitlosen Thema.

„Eine Karte der Welt, die den Utopismus auslässt, ist keines Blickes würdig“, schrieb der amerikanische Architekturkritiker Lewis Mumford 1895. Tatsächlich waren Architekten und Politiker, aber auch Philosophen, Maler und Literaten seit je nicht nur mit der Realität der existierenden Lebensformen, sondern auch mit dem Ideal möglicher anderer Welten beschäftigt. Ruth Eaton verfolgt in diesem Buch die Idee der idealen Stadt, der immer die Idee einer idealen Gesellschaft zugrunde liegt, von der Antike über die Renaissance, das Zeitalter der Kolonialisierung, die Aufklärung und die Industrialisierung bis zu den ganz unterschiedlichen Entwürfen des 20. Jahrhunderts. Sie zeigt, dass die Utopie der Idealstadt stets Diskussionen ausgelöst hat, die auch eine Veränderung der realen Lebensverhältnisse hervorzubringen vermochten. Zugleich verweist Eaton darauf, dass die Planung idealer Städte ein riskantes Unterfangen ist: Die Hybris konsequent umgesetzter Theorie kann ins Zerstörerische umschlagen.

Die englische Historikerin Ruth Eaton war an zahlreichen Ausstellungen beteiligt, so etwa an „Architecture of the Future City“ (Museum für zeitgenössische Kunst, Tokio, 1996). Derzeit arbeitet sie an einer Ausstellung zum Thema „Utopie“, die bald in Paris und New York zu sehen sein wird. LK

Ruth Eaton: „Die ideale Stadt – Von der Antike bis zur Gegenwart“. Nicolai Verlag, Berlin 2003, 256 S., 64 € (brosch. 29,90 €)

Wohnträume jenseits Land fressender Vorstädte

Wer Lust auf schlechte Laune hat, sollte ein beliebtes Einrichtungshaus aus Skandinavien am Wochenende im Vorweihnachtsgeschäft aufsuchen (täglich bis 20 Uhr geöffnet!). Man verliert seine Begleiter ständig im Gewühl und hat keine Chance, fluchtartig den Laden zu verlassen, wenn einem alles zu viel wird. Stattdessen muss man einem Parcours über zwei Etagen durch alle ausgestellten Wohnbereiche folgen, was sogar im Dauerlauf und ohne Zwischenstopp mindestens 20 Minuten in Anspruch nimmt.

Am Ende kauft man bestimmt nicht das, was man sich vorher geflissentlich im Katalog angestrichen hatte, dafür aber irgendwelche Wohnaccessoires, die zu solchen Ramschpreisen angeboten werden, dass man das ungute Gefühl hat, irgendwo in der Welt müssen Menschen zu Hungerlöhnen schwer geschuftet haben, um solche Billigangebote zu ermöglichen.

Statt normierter Massenware aufzusitzen, entscheide ich mich, mit leeren Händen nach Hause zurückzukehren (es ist ja schließlich auch der „Buy Nothing Day“), um in einem Wohnbuch zu schmökern, das ich schon als Kind geliebt habe. Vielleicht hilft das ja, um auf Ideen zu kommen, wie ich meinen zwei verstaubten Zimmern neuen Pepp einhauchen könnte.

„Home Sweet Dome“ stellt „Träume vom Wohnen“ aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten vor, wo experimentierfreudige Häuslebauer von jeher mit weniger Bauvorschriften zu kämpfen haben als hierzulande. Es ist ein 70er-Jahre-Buch, in dem die Blumenkinder ihre „Dome der Liebe“ jenseits steriler Betonsilos und den Einheitsquadraten Land fressender Vorstädte präsentieren – Kuppelhäuser, die an Buckminster Fuller erinnern, verschiedene Adobe-Pueblos im Hopi-Stil oder ein „Glashaus“ aus leeren Whiskey-Flaschen und Cola-Büchsen. Am meisten beeindruckt mich aber ein in die Erde eingebuddeltes „Juwelenzelt“ in der Wüste New Mexikos, zusammengezimmert aus den Resten einer Ghosttown.

Am Ende wird’s angesichts meiner Trägheit, was Veränderungen in meinem Wohnumfeld angeht, wohl doch bei der Lektüre des Buchs bleiben und der Plan, meine zwei Zimmer umzugestalten, ad acta gelegt werden. Doch angeregt durch die fantasievollen Wohnutopien ist wenigstens meine miese Laune wie verflogen. OLE

Ebert, Wolfgang M.: „Home Sweet Dome. Träume vom Wohnen“. Verlag Dieter Fricke, Frankfurt/M. 1978. Leider vergriffen, nur noch im Internetantiquariat (z. B. www.zvab.com ) ab 20 € erhältlich

Persönliche Visionen mit Realitätsbezug

„Bezeichnend ist jeweils die erfolgreiche Zusammenarbeit von Bauherr und Architekt.“ Dieser Satz von Friedrich Grimm im Vorwort zu seiner Auswahl von Einfamilienhäusern unter 250.000 Euro klingt banal. Erfahrungsgemäß allerdings sind die Konflikte zwischen denen, die bauen wollen und sich dafür fast immer in finanzielle Abhängigkeiten stürzen, und dem, der mit dieser Investition dem „Traumhaus“ möglichst nahe kommen soll, vielfältig.

Vielen erscheint der Wunsch nach den eigenen vier Wänden ohnehin wie eine unerreichbare Sehnsucht. Schöne Materialien, großzügige Räume und der individuelle Kick sind unerschwinglich. Sind sie es wirklich? Folgt man Grimm, können persönliche Visionen durchaus Realität werden. Ihm zufolge liegt das Gelingen des passenden Wohnhauses weniger im finanziellen als im intellektuellen Vermögen eines Bauherrn, den Architekten seines Vertrauens zu wählen und mit dessen Unterstützung Prioritäten zu setzen.

So entschied sich ein Ehepaar für die Reduktion auf eine kombinierte Wohnküche zugunsten eines großen Grundstücks, wie das von den Architekten Augustin und Frank (Berlin) entworfene Haus zeigt. Andere zogen einen aufwändigen Innenausbau vor, den archiguards projects (Wien) konzipierte. Dritten wiederum genügte das archetypische „Haus vom Nikolaus“, das Torsten Gabele (Konstanz) mit einen zweistöckigen, verglasten Wintergarten veredelte.

Jedes Beispiel weist charakteristische Merkmale auf, die besonders hervorstechen, wenn der Blick auf die öde Nachbarbebauung fällt. Der Autor, selbst Architekt, hat engagierte Produkte seiner Profession ausgewählt und mit kurzen, zuweilen etwas schwärmerischen Begleittexten und den notwendigen Daten versehen. Dass die Grundstückskosten nicht berücksichtigt wurden, versteht sich von selbst. Ebenfalls nicht eingerechnet wurden die Kosten für das Kellergeschoss, auf das bei vielen Beispielen allerdings auch verzichtet worden ist.

Das Buch der Positivbeispiele macht Lust zum Planen. Und dass ein Sammler von Oldtimern trotz knallrotem Holzhaus (mit vierfacher Garage!) von bau-werk-statt (Stuttgart) noch einen Jaguar finanzieren kann, macht auch Mut. MIKAS

Friedrich Grimm: „Einfamilienhäuser unter 250.000 Euro. Individuelle Traumhäuser, die Sie sich leisten können“. Callwey Verlag, München 2004, 176 S., 64 €

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen