: Viele kleine Meilensteine
CDU stimmt ihre Mitglieder zunehmend auf Schwarz-Grün ein. Auch für die Union gilt, was der Grünen-Landesschatzmeister sagt: „Raus aus der babylonischen Gefangenschaft bei der SPD“
VON STEFAN ALBERTI
Die Spitze der Berliner CDU arbeitet merklicher denn je auf eine mögliche schwarz-grüne Koalition hin. Nach erneuten Äußerungen in diese Richtung am Wochenende sagte Parteisprecher Matthias Wambach der taz, es gebe bereits „viele kleine Meilensteine“ auf diesem Weg. „Wir machen keine Kampagne, aber wir reden über das Thema“, sagte er. Grünen-Landesschatzmeister Wolfgang Erichson, der als Bezirkspolitiker einen gemeinsamen Haushalt mit der Union gegen die SPD durchzog, sieht die Grünen in derselben Situation wie die CDU: „Wir müssen raus aus der babylonischen Gefangenschaft bei der SPD.“
CDU-Landeschef Joachim Zeller, in Mitte dank grüner Stimmen Bezirksbürgermeister, hatte im Tagesspiegel erklärt, mit den Grünen treffe sich die CDU in einigen Politikbereichen. Die FDP stufte er als neoliberal ein. Bei der CDU dürfe Wirtschaftsliberalität nicht von sozialen Aspekten abgekoppelt werden.
Seine Worte schließen an eine ganze Reihe Annäherungsäußerungen an. Drei Beispiele lassen sich allein aus dem vergangenen Monat nennen: 11. November: Generalsekretär Gerhard Lawrentz sieht in einem Vortrag bei Friedrichshainer Parteifreunden ohne schwarz-grüne Bündnisfähigkeit die SPD dauerhaft im Senat. 19. November: Ein CDU-Ortsverband in Charlottenburg-Wilmersdorf lädt zur Diskussion „Schwarz-grüne Zukunft in Berlin?“ mit Zeller. 30. November: Zeller und Grünen-Urgestein Wolfgang Wieland diskutieren in der Welt am Sonntag über Einendes und Trennendes.
Gerade in Wieland sah Lawrentz in Friedrichshain ein Sinnbild für mehr Offenheit zur CDU hin: „Der hätte sich doch vor zehn Jahren noch eher die Zunge abgebissen.“ Bei den Grünen macht der CDU-Generalsekretär „tief bürgerliche Strukturen“ aus. Wenn man sich dort „das ganz große grüne Brett vorm Kopf wegreißt, dann entdeckt man Gemeinsamkeiten mit der CDU.“
All das geschieht vor dem Hintergrund, dass die CDU in einem Dilemma ist. Nach bisheriger Denkweise kommt sie nur in einer erneuten großen Koalition mit der SPD wieder an die Regierung. Die bürgerliche FDP allein kann ihr nicht weiterhelfen. „Aber die Lust, mit der SPD zu koalieren, ist denkbar gering“, sagt Lawrentz. Die Sozialdemokraten hingegen können ihren Partner wählen, von PDS über CDU und Grüne bis hin zur FDP. Lawrentz: „Dieser SPD-Vorteil ist nur zu knacken, wenn CDU und Grüne irgendwann miteinander bündnisfähig werden.“
Eine jüngste Umfrage im Auftrag der Berliner Zeitung stützt die Befürworter einer schwarz-grünen Annäherung. Wären jetzt Wahlen zum Abgeordnetenhaus, kämen die Grünen mit der CDU auf 50 Prozent und damit an die Regierung, mit der SPD hingegen nur auf 38 Prozent. Die rot-rote Koalition aus SPD und PDS würde nur 36 Prozent erhalten.
Bei der CDU liegen laut Parteisprecher Wambach keine Zahlen vor, was die rund 14.000 Mitglieder von einem schwarz-grünen Kurs halten. Anders bei den Grünen: Im August ergab eine Forsa-Studie, dass drei Viertel ihrer Anhänger Schwarz-Grün ablehnen.
Einer der von Wambach als Meilensteine eingeordneten Schritte passierte bereits im Oktober. In der Bezirksverordnetenversammlung von Tempelhof-Schöneberg, wo eigentlich SPD und Grüne per Zählgemeinschaft liiert waren, setzten Grüne und CDU einen Grünen-Etatentwurf durch. Vor der Bezirksfusion kamen in Schöneberg gemeinsame Beschlüsse durchaus vor. „Seit der Fusion aber war es das erste Mal, und dann gleich beim Haushalt“, sagt Wolfgang Erichson, grüner Fraktionschef im Bezirk und zugleich Landesschatzmeister der Grünen.
Zusätzliche Bedeutung erhält die schwarz-grüne Zusammenarbeit dadurch, dass sie sich in einem Bezirk voller Polit-Promis abspielte. Klaus Wowereit und SPD-Fraktionschef Michael Müller haben dort genauso ihren Wahlkreis wie CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer und Grünen-Bundesministerin Renate Künast. Und wer sitzt als Baustadtrat im Bezirksamt? CDU-Generalsekretär Lawrentz.
Künast war laut Erichson genau wie der grüne Landesvorstand informiert gewesen über die Absicht, mit der CDU zusammenzuarbeiten – und habe zugestimmt. Für die CDU sei das weniger eine sachpolitische Entscheidung gewesen als vielmehr ein Signal, sagt Erichson. Der eher konservative Lawrentz sei genauso wenig ein Fan von Schwarz-Grün wie der örtliche Unions-Chef Dieter Hapel. Allein die Einsicht, dass es nur mit den Grünen geht, begründet die Annäherung. Fazit: Ziel ist die Vernunftehe, nicht die Liebesheirat.
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