piwik no script img

Die Krise fruchtbar machen

WEITERBILDUNGSOFFENSIVE Mit Kurzarbeit und beruflicher Qualifizierung will Arbeitsminister Olaf Scholz Massenentlassungen verhindern. Greift die Maßnahme, wird die Weiterbildungsbranche boomen

Weiterbildung bei Kurzarbeit

Die Datenbank Kursnet führt alle Anbieter für Aus- und Weiterbildung an, die die Arbeitsagentur fördert: http://infobub.arbeitsagentur.de/kurs

Die Checkliste „Qualität beruflicher Weiterbildung“ vom Bundesinstitut für Berufsbildung hilft, den geeigneten Kurs zu finden: www.bibb.de/de/checkliste.htm

■ Wie Kurzarbeitergeld beantragt wird, zeigt ein Film und der Quickcheck unter: http://kugvideo.arbeitsagentur.de

Fragen und Antworten zur Kurzarbeit und Berufsqualifizierung beantwortet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter www.einsatz-fuer-arbeit.de.

■ Der regionale Arbeitgeberservice der Arbeitsagentur berät per Telefon zur Kurzarbeit: 01801/664466 (Festnetzpreis 3,9 ct/min)

VON MART-JAN KNOCHE

Als Olaf Scholz Anfang der Woche im historischen Bauhüttensaal der Handwerkskammer auftrat, tat er dies in neuer Funktion. Der Minister für Arbeit und Soziales ist gefragter Krisenretter im Wahlkampfjahr. Er warb in seiner Heimatstadt für sein Milliarden-Förder-Konzept für Kurzarbeit und berufliche Weiterbildung. Damit will der SPD-Politiker schaffen, was deutschen Politikern anno 1929 misslang: Massenarbeitslosigkeit verhindern.

Vor Scholz saßen rund 80 Unternehmer aus dem Handwerk. „Dem Arbeitsminister geht es so, dass er ziemlich verärgert ist über die Zahlen, die jetzt wieder im Raum standen“, verkündete Scholz von sich in der dritten Person sprechend. Die jüngsten Prognosen von bis zu fünf Millionen Arbeitslose durch die Weltfinanzkrise – es klang, als werte Scholz sie als persönliche Provokation. Per Verordnungsermächtigung werde er die Förderungsdauer des Kurzarbeitergeldes wenn nötig von 18 auf 24 Monate verlängern. Mit 2,1 Milliarden Euro allein für 2009 finanziert seine Bundesagentur für Arbeit Kurzarbeit und die Weiterbildung der betroffenen Mitarbeiter. Unbürokratisch und rasch, soll es gehen. Und so werde auch die Bundesagentur bedrohte Betriebe unterstützen, versprach Scholz. Damit sie ihre Fachkräfte durch die Krise bringen ohne entlassen zu müssen.

Scholz Plan will noch mehr. Mit Weiterbildungssubventionen soll die Krise fruchtbar gemacht und der Fachkräftemangel ausgeglichen werden. Bei einer Entlassungswelle erleichtere das zudem nach der Krise die Rückkehr in den Arbeitsmarkt.

Ein „Boomen der Branche wie seit der Wende nicht mehr“ sei wahrscheinlich, sagt Bernd Käpplinger vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). Schließlich fluten jetzt öffentliche Mittel in Millionenhöhe den Weiterbildungsmarkt.

Aber Scholz ließ sich bei der Konzeption der Maßnahmen nicht durch die Weiterbildungsexperten beraten, was eine Sprecherin des Ministeriums bestätigt: Die Planungen seien im Haus getroffen worden. „Nach Gesprächen mit den DAX-30-Unternehmen und deren Betriebsräten.“ Das Know-how der Forscher vom BIBB, deren Aufgabe es auch ist, die Politik zu beraten, blieb außen vor. Was den Erfolg des Mammut-Projekts schwer kalkulierbar macht.

Denn gefördert wird jeder Betrieb, der für mindestens einen Mitarbeiter nicht das volle Gehalt zahlen kann. Mitarbeiter arbeiten dann kürzer, je nach Notlage eine Stunde, einen Tag oder eine Woche im Monat. Mindestens 60 Prozent des ausfallenden Gehalts zahlt ihnen die Bundesagentur, die dem Arbeitgeber zugleich die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge abnimmt. Wenn der Betroffene sich weiterbildet, werden die Beiträge komplett übernommen. Denn die unfreiwillige Freizeit sollen die Kurzarbeiter möglichst für Fortbildungen nutzen: 25 bis 80 Prozent der Lehrgangskosten werden erstattet. Bei „gering qualifizierten“ Mitarbeitern sogar 100 Prozent. Flankierend ermöglicht ein Programm namens „WeGeBau“ auch normalen Beschäftigten, sich kostenlos weiterzubilden. Vorausgesetzt die letzte Aus- oder Weiterbildung durch öffentliche Mittel liegt länger als vier Jahre zurück.

Die Probleme, wie sie der letzte Boom nach der Wiedervereinigung mitbrachte, könnten sich leicht wiederholen, warnt Käpplinger vom BIBB. „Wo ein Markt mit viel Geld ist, werden auch viele schwarze Schafe dabei sein“, sagt der Forscher. Sinnlose Warteschleifen müssten verhindert werden. Der Kostendruck durch die Bundesagentur führe zudem „trotz Qualitätssicherung zu vielen fragwürdigen Billiganbietern“.

Wenn ein Kurzarbeiter sich weiterbildet, zahlt der Staat die Beiträge zur Sozialversicherung komplett

Kurzarbeit beantragt wurde bereits für 1,7 Millionen Arbeitnehmer. Doch der Mittelstand, der 65 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer umfasst, ist traditionell recht weiterbildungsresistent. Eine Studie des BIBB zeigte 2008, dass die Weiterbildung in kleineren und mittleren Betrieben selten ist. Meist fehle eine „systematische Analyse des Qualifikationsbedarfs“. Die Bedeutung der Mitarbeiterqualifikation werde unterschätzt. Fördermöglichkeiten seien oft unbekannt.

„Es gibt kein Unternehmen“, sagte Scholz im gefüllten Bauhüttensaal der Handwerkskammer, „das von diesen Instrumenten keinen Gebrauch machen kann.“

Theoretisch richtig. Dafür müsse sich die Weiterbildungsförderung aber nicht nur rumsprechen, entgegnet Andreas Rönnau, Kammersprecher für Mittelstandspolitik. „Das Thema muss branchenübergreifend salonfähig werden.“ Denn im Mittelstand grassieren Dünkel. Niemand will zugeben, dass es kriselt. Auch Elektromechaniker und Optiker tun sich schwer, staatliche Hilfen anzunehmen. Rönnau: „Genau wie die Banken.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen