: Ärgerlich unpolitisch?
THEATERTREFFEN „Alle Toten fliegen hoch“ – dieses Jahr ist der Schauspieler Joachim Meyerhoff mit einem eigenen Stück zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen. Ein Porträt
■ Der Wiener: 1967 in Homburg/Saar geboren, lebt heute in Wien. Mit Christiane von Poelnitz, ebenfalls Schauspielerin am Wiener Burgtheater, hat er zwei Töchter. ■ Der Schauspieler: Zuletzt spielte er in Christoph Schlingensiefs „Mea Culpa“ das andere Ich des Regisseurs. Zurzeit probt er Goethes „Faust II“. ■ Auf dem Theatertreffen: Die ersten drei, beim Theatertreffen in Berlin ab 13. Mai vorgestellten Kapitel von „Alle Toten fliegen hoch“ werden im Gorki Theater gezeigt und sind eine Produktion des Wiener Burgtheaters.
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
So ein Satz bleibt hängen. „Ich habe Gefängnisse schon immer gemocht“, sagt Joachim Meyerhoff mal so nebenbei in „America“, dem ersten Teil seiner Performance „Alle Toten fliegen hoch“. Er erzählt, entspannt auf der Bühne in einem Sessel sitzend, von seinem Highschool-Jahr in Wyoming und einem Ausflug zum Wyoming State Prison mit einem Lehrer. Die Besichtigung beginnt etwas skurril mit dem Parkplatz der Gefangenen, der einem Automobilmuseum gleicht. Oft warten die Karossen dort Jahrzehnte auf die Freilassung ihrer Eigentümer. In einem wackelnden Wohnwagen empfängt eine Prostituierte die Gefangenen. Und in der Death Row warten 16 Insassen auf ihre Hinrichtung. Und dann vorneweg so ein Satz: „Ich habe Gefängnisse schon immer gemocht.“
Noch präsenter ist das Motiv der geschlossenen Anstalt im zweiten Kapitel, „Zuhause in der Psychiatrie“. Da zeichnet Meyerhoff auf einer Tafel das Gelände eines psychiatrischen Krankenhauses auf, mit der Direktorenvilla in der Mitte: Hier wuchs er auf, irgendwo in Schleswig-Holstein. Unter den Patienten waren die Freunde seiner Kindheit; ihren Porträts gilt seine Performance ebenso wie seiner Familie. Was die Patienten auszeichnete, war eine Kraft der Imagination, mit der sie ihre eigene Wirklichkeit schufen. Wenn der Schauspieler für kurze Momente in ihre Körper schlüpft, weiß man zwar, dass er von Kranken erzählt, die unter ihrem Ausschluss aus der Realität der anderen eben auch schwer leiden. Man fühlt aber auch seine Faszination über die Stärke ihrer Vorstellungskraft.
So entsteht der Verdacht, dass die geschlossene Anstalt auch eine Metapher für das Theater sein könnte. „Als Kind bewegt man sich doch immer in geschlossenen Welten“, sagt Meyerhoff. „Jedes Spiel ist in seiner Abgrenzung zur Realität eine geschlossene Welt; jeder Kaufmannsladen, jedes Raumschiff, jedes Mutter-und-Kind-Spiel.“
Im dritten Kapitel von „Alle Toten fliegen hoch“, die „Beine meiner Großmutter“, sind es schließlich keine Mauern, sondern der Stil- und Formwille seiner Großeltern, die ein Weltbild zusammenhalten, das sich zunehmend abschottet gegen die Wahrnehmung einer veränderten Gegenwart. Meyerhoff blendet ein Bild der Magnolie ein, die im Garten der Großmutter, einer ehemaligen Schauspielerin, blühte, und zeigt in einer Vitrine ihre Teekanne, die nach einem häuslichen Unfall aus vielen Splittern wieder zusammengeklebt wurde. Und wieder ist seine Erinnerung an die mit den Großeltern verbrachten Tage von mitreißender Empathie durchzogen für die vielen kleinen Alltagsrituale, mit denen Inge und Hermann Geborgenheit herstellten, erzählt aus der Perspektive eines Heranwachsenden.
Meyerhoffs Theater unterläuft, ohne das je auszustellen, die erwartbaren biografischen Muster und Konfliktlinien einer Jugend in den 80er-Jahren. Das ist sicher ein Grund für die Aufmerksamkeit, mit der man ihm folgt, auch durch drei Kapitel, fast fünf Stunden lang. Mit diesen ersten drei Teilen, die am Burgtheater Wien produziert wurden, ist Joachim Meyerhoff jetzt zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen.
Man kennt ihn hier schon, vor allem als Schauspieler. Er war die letzten beiden Jahre ein Star des Festivals, 2007 als Benedict in Shakespeares „Viel Lärm um nichts“, 2008 als Hamlet, beide in der Regie von Jan Bosse. Da wurde er geliebt für ein Spiel unter Hochdruck, das Albernheiten und Peinlichkeiten nicht fürchtet und den Zuschauer mit hineinnimmt in alle Widersprüche der Figur.
Mit seinen Rollen der letzten Jahre, am Schauspielhaus Hamburg und am Burgtheater, in Inszenierungen von Jan Bosse, Jürgen Gosch, Karin Beier, Barbara Frey und anderen, ist er zum Protagonisten eines Theaters geworden, das mit Lust an der Verausgabung und ungestümem Spiel dennoch zum Text und zur Dramenliteratur steht. Wo er auftritt, greifen die Oppositionspaare Dekonstruktion oder Einfühlung nicht mehr. Peter Michalzik, Redakteur für Theater bei der Frankfurter Rundschau, beginnt in seinem Buch „Die sind ja nackt! Gebrauchsanweisung fürs Theater“ sein erstes Kapitel, „Der Schauspieler“, mit einem Porträt Meyerhoffs. „Meyerhoff ist einer jener Schauspieler, die die Grenzen, die im Theater seit Jahren gezogen werden, hier Gefühl, da Kunst, hier Konservatismus, dort Avantgarde, durch sein hinreißendes Spiel einreißen.“
Die Überraschung ist umso größer, ihn jetzt als Autor und Regisseur seiner eigenen Geschichte und mit Manuskript in der Hand zu begegnen, die meiste Zeit an seinen Sessel gefesselt. In der Zeitschrift Theater heute wurde zwischen dem Wiener Kritiker Wolfgang Kralicek und dem Theaterwissenschaftler Hans-Joachim Kurzenberger eine Debatte über den Minimalismus von „Alle Toten fliegen hoch“ ausgetragen. Joachim Meyerhoff selbst aber kann dieses „Weniger Theater geht nicht“ nicht mehr hören. Das war nicht sein Ziel.
Er begründet den überraschenden Gegensatz zwischen seinem Spiel, in dem das Denken so großen physischen Einsatz verlangt, und dem eigenen Projekt anders: „Bei Theatertexten habe ich immer den Wahn, dass man mich nicht versteht, dass kein Mensch begreift, was ich will und meine. Daher oft diese Schwerstarbeit, mich verständlich zu machen. Aber bei meinen eigenen Sachen habe ich das nicht.“ Aber er redet auch über die höhere Anteilnahme, die die doch sehr persönliche Erinnerungsarbeit von „Alle Toten fliegen hoch“ von ihm fordert. „Nach den drei Teilen bin ich jedes Mal wie erschlagen. Dieses Lesen ist viel anstrengender und aufwühlender, als sich auszuagieren. Nach meinen Abenden muss ich mir Notizen machen. Es hört halt nicht auf.“
Dass Meyerhoffs Abend „irrsinnig privat“ und „ärgerlich unpolitisch“ erscheinen kann, war einer der Punkte, über den die siebenköpfige Jury des Theatertreffens (Jürgen Berger, Stefan Keim, Christopher Schmidt, Wolfgang Höbel, Eva Behrendt, Andres Müry und Peter Müller) sich einen Abend lang gefetzt hat, wie Eva Behrendt im TT-Magazin schreibt. Und sich dann dennoch für dieses „mutige Ich-Sagen“ entschied.
Im Übrigen ist – dass ein Anfang vierzigjähriger Künstler nun biografisch wird – auch ein Erfolgsmuster: Man denke bloß an die Romane von Musikern wie Sven Regner, Heinz Strunk, Rocko Schamoni. Eine auffällige Parallele, die allerdings dem Autor Meyerhoff selbst nicht einleuchtet. Denn er sieht seine Erzählungen, die er bei jeder Aufführung variiert, nicht als Literatur und will sich gar nicht gedruckt sehen. „Also eins kann ich ganz ehrlich sagen: Die Dinge, die ich lese, müssen auf jeden Fall besser geschrieben sein als das, was ich da so fabriziere“, meint Meyerhoff.
Bei allem Narzissmus steckt auch etwas von großer Bescheidenheit in diesem 1,90 langen Körper, etwas vom Bemühen der Großen, die eigene Sichtbarkeit nicht zu sehr auszuspielen. So ist der autobiografische Faden auch nur ein Mittel, von den verschiedenen Toten seiner Familie zu erzählen und ihnen einen Raum in der Erinnerung neu zu schaffen. Mit einem außerordentlich liebevollen Gestus.
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