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So ganz normal sexistisch

Partys wie im „Party-Club Berlin“ locken bereits Schüler ab 14 Jahren. Highlight der Abende sind Gesangswettbewerbe und – Strip-Shows. Für die Jugendlichen ist das unspektakulär: Sex gehört ganz selbstverständlich dazu. Denn Sex ist eine Möglichkeit der Selbstdarstellung

VON EDITH KRESTA

Ina, Aisha und Sarah haben sich schön gemacht. So schön, dass ihre kindlichen Gesichter mit jedem männermordenden Viva-Vamp konkurrieren könnten. Ihr Gesichtsausdruck ist etwas starr. Das mag am übertriebenen Make-up und an der Anspannung vor dem Samstagabendauftritt liegen.

Sie tragen Hosen und nabelfreie Tops, spitze Absatz-Stiefeletten. Nur Ina stolpert abendfein in goldenen Riemchensandalen an den Kontrolleuren am Mensaeingang der Technischen Universität (TU) vorbei. Die schauen ins Täschchen, Ausweise werden aber nicht verlangt. Und schon sind die drei Schönen – gerade mal 14 Jahre alt – im Pulk immer neuer Variationen von Hose und nabelfreiem Top verschwunden.

14 Jahre sollte man schon sein, um an den HipHop- und R’n’B-Partys des Party-Clubs Berlin e.V. in der TU-Mensa teilzunehmen. Die Securitys am Eingang sind die Hüter der Schülerpartys. Sie lassen nicht jeden hinein. Oft trifft dies ausländisch aussehende Jugendliche, was den Veranstaltern schon mal den Vorwurf des Rassismus oder eine eingeschlagene Fensterscheibe einbringt. Von Gangs wurden die Partys bislang nicht aufgemischt.

Martin, der Kartenabreißer, kennt die Gesichter. „Du kommst hier nicht rein, dich will ich hier nicht sehen“, erklärt er einem türkisch ausehenden Jugendlichen und bugsiert ihn zum Ausgang zurück. Martin arbeitet wie die Kartenverkäuferinnen und einige der Securitys ehrenamtlich im Party-Club. Dafür gehen sie mit René Göpfert, dem ersten Vorsitzenden des Party-Clubs Berlin e. V., ab und zu mal essen oder auf eine seiner eigenen Privatpartys.

René Göpfert hat den Überblick. Er kontrolliert und moderiert. Er treibt die Partys voran, weil es ihm mehr Spaß macht, „als mit den jungen Reichen aus dem Grunewald im 90 Grad abzuhängen“, wie er sagt.

Seit vier Jahren existiert der Berliner Party-Club. „Nachdem vieles an Jugendinitiativen und Vereinen weggebrochen ist, haben wir den Verein gegründet“, erzählt René Göpfert. Der Eventmanager sieht sich in der Tradition der Jugendarbeit. Und in der Tat, in Zeiten knappster öffentlicher Mittel, wo Jugendclubs und Initiativen geschlossen und nicht weiter gefördert werden, ist der Party-Club ein attraktiver Jugendtreff.

Hier trifft die mutige Sängerin nach dem Gesangs-Contest auf den schicken schwarzen Producer, der schon mal zu Aufnahmen in sein Studio lädt. Hier trifft Aisha auf Benjamin und Murad auf Ina. Hier spielen Drogen keine Rolle, wie selbst die Polizei sagt, und Soft-Drinks verkaufen sich besser als Beck’s Bier. Der Party-Club ist Lifestyle wie MTV oder Shirts von Mango. Rund 2.500 Mitglieder hat der Verein, der vor allem übers Internet mit seinen Mitgliedern kommuniziert.

René Göpfert hat als Startkapital 50.000 Euro seiner Eltern reingegeben und jede Menge Eigeninitiative. Wie ein Schulsprecher moderiert der 29-Jährige mit abgeschlossenem BWL-Studium das Highlight des heutigen Abends. „Also Jungs, ihr müsst jetzt mal nach hinten gehen, und die Mädchen kommen nach vorn zum Gucken.“ Männerstrip ist angesagt. Bewegung kommt in den Saal der alten TU-Mensa , der mit 800 bis 1.000 Leuten proppenvoll ist.

Die Mädchen bauen sich vor der Bühne auf und johlen. Ein gut gebautes männliches Model entblättert sich. Langsam, routiniert. Die Mädchen kreischen mit Augenzwinkern. Eine wird auf die Bühne geholt und soll den muskulösen Körper eincremen. Die nächste darf auf seinen Schoß und in den Slip fassen. Sie macht das völlig souverän. Grinsend. Alles brüllt. Der inzwischen nackte Mann auf der Bühne wird bejubelt.

Der Kult um den männlichen Körper kommt unsexistisch daher. Unspektakulär. Sex as usual. Die Mädchen finden es „cool“, „spaßig“, „richtig gut“. Die Inszenierung wird unter der Kategorie „Sex ist geil“ abgestempelt, das hat ungefähr so viel sexuelle Sprengkraft wie eine Sendung mit der Maus über Kondome. Sex scheint für die Jugendlichen selbstverständlicher Teil des Events zu sein wie bei Viva oder MTV. Nichts Besonderes. „Nur deshalb kommt keiner hierher“, sagt Ina.

So souverän sind die Jungs nicht. „Die Mädchen gehen jetzt nach hinten, und die Jungs kommen nach vorn zur Bühne“, gibt René Göpfert etwas nervös Regieanweisungen. Zum ersten Mal lässt er eine Stripperin auftreten. Ein dunkelhaariges Silikonwunder, lange Beine, schöne Figur. Klassischer Strip im Fellmantel. Auch sie holt einen Jungen auf die Bühne, lässt sich eincremen. Die Jungs starren mit offenen Mündern auf die Bühne. Starren und erstarren.

Die Atmosphäre ist gespannt, längst nicht so locker und ausgelassen wie beim Männerstrip. Testosteronschub, männliches Verzücken. Die Schönheit lässt die Zunge spielen, bewegt sich lasziv im Tangastrip am Bühnenrand. Die Jungs drängen immer näher an die Bühne. Security-Männer halten sie zurück … René Göpfert bricht die Show frühzeitig ab. „Uff“, meint er später, „mit den Mädels ist es irgendwie leichter.“

Auf dem Jahrmarkt der Selbstdarstellung werden die erotische Stripperin, der knackige Mann zuallererst zu Spiegelbildern der eigenen Selbstverliebtheit. Bin ich so attraktiv wie er? Habe ich so schöne Brüste? Vulgär ist nicht der nackte Körper, sondern die narzisstische Herausforderung und Bedrohung. Beim Frauenstrip kommt die sexistische Provokation hinzu. „Der Männerstrip ist gut“, sagt die 14-jährige Sarah, „aber der Frauenstrip war doof.“ Und der 16-jährige Murad meint: „Na ja.“ Die scharfe, professionelle Anmache der Stripperin hat Jungs und Mädchen überfordert. Sie war weder verspielt, noch ironisch gebrochen. Sie passt zur jugendlichen Zielgruppe wie Gruppensex ins Altersheim, auch wenn der Frauenstrip längst Renner auf Abiturfeten ist. Fakt ist: Der Männerstrip wird angenommen, der Frauenstrip verunsichert.

Die Party geht weiter mit Kevin Little und „Turn me on“. Es wird getanzt. Zu zweit, allein, in Gruppen. Die Atmosphäre ist nun spannungsfrei, gelöst. Es knistert kaum. Grünholz brennt nur schwach: ein bisschen Geknutsche, hier und da ein zarter Kuss, Händchenhalten, nur der Tanzstil ist stark körperbetont, anmacherisch. Ansonsten abhängen in Cliquen, sehen und gesehen werden. Dramatik in den Abend bringt allein die Inszenierung. „Sie steht schon immer im Mittelpunkt meiner Partys“, sagt René Göpfert. „Ob wie heute Abend der Strip oder an anderen Abenden der Gesangswettbewerb oder die Go-go-Wetttänze, das ist immer der Renner.“

Um Mitternacht gibt es Schmusemusik: „U got it bad“ von Usher. Die Jüngeren, die um die 14, werden nun aufgefordert zu gehen. Der Saal leert sich merklich. „Die Jugendlichen heute muss man sehr loben“, bemerkt René Göpfert, „sie sind wesentlich disziplinierter und anständiger als die Jugendlichen die Jahre zuvor.“

„Bis in zwei Wochen“, kündigt René Göpfert die nächste Veranstaltung über Mikrofon an. Sie kommen wieder. Garantiert. Zur Christmas-Party mit Gesangs-Contest oder zur 50-Cent-Party. Denn wo sonst gibt es einen so angesagten Treff: so bunt, so jung, so ganz normal sexistisch.

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