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Im Krieg mit Saddam

Ortstermin Bagdad: Weil sie sich nicht auf die Straße trauen, verbringen irakische Jugendliche ihre Abende im Spielsalon. Sie spielen dort Krieg. Am liebsten mit Saddam Hussein und George W. Bush

AUS BAGDAD KARIM EL-GAWHARY

Hier schmachtet er nicht in seiner Gefängniszelle, sondern ist weiter auf freiem Fuß. Auf leisen Sohlen schleicht Saddam Hussein langsam an der Häuserwand entlang. Sein Schnellfeuergewehr im Anschlag, arbeitet er sich vorsichtig von einem Winkel zum nächsten, immer auf der Hut vor einem in einer dunklen Ecke lauernden George Bush. Der lässt sich aber nicht blicken, dafür amerikanische Soldaten, die Saddam locker mit ein paar Salven über den Haufen schießen.

Gerade lenkt der 24-jährige Muhammad, der sich als Computerspieler “Matrix“ nennt, mit Hilfe seiner Computermaus den ehemaligen irakischen Diktator geschickt über den Bildschirm. In seinem zivilen Leben studiert Muhammad englische Literatur an der Bagdad-Universität.

Jeden Abend treffen sie sich in mehreren miteinander vernetzten Spielsalons im Bagdader Mittelklasse- und Oberschichtviertel Mansour: gut zwei Dutzend irakische Jugendliche, die hier allabendlich Krieg spielen. Im Keller sitzen die Amerikaner. Im Erdgeschoss kämpfen deren Gegner, gemeinsam über Kabel verbunden in einer großen virtuellen Häuserschlacht.

Sie spielen ein Computerkriegsspiel namens „Medal of Honor“, „Tapferkeitsorden“, in dem eigentlich ursprünglich die deutsche Wehrmacht gegen die Alliierten antritt. Doch die irakischen Jungs haben das Spiel für ihre Zwecke umfunktioniert. Die Alliierten bleiben, wie zuvor, meist die Amerikaner. Doch statt der deutschen Wehrmacht haben sie ihre eigene Umwelt in das Programm gescannt.

Neben Saddam kämpft auch Bin Laden bei den Achsenmächten. Und damit es mehr mit ihrer irakischen Realität zu tun hat, haben sie bei den Alliierten noch George W. Bush ins Programm gezaubert. An der Figur Paul Bremers, dem Chef der amerikanischen Besatzung im Irak, arbeiten sie noch.

Im Schnitt bringt „Matrix“ an einem Abend 200 Amerikaner um, erzählt Muhammad stolz. Im wirklichen Leben, sagt er, sei er aber gar nicht so. „Wir hassen die amerikanischen Soldaten zwar, aber wir würden sie nie angreifen.“ Schließlich sei es nicht in seinem Interesse, dass sie über Nacht abzögen. „Matrix“ ist Sunnit. Er sagt: „Dann würden wir uns ja gegenseitig umbringen.“

Sein Bildschirmnachbar Hischam, Spielname „der Pate“, spricht von Kompensation: „Draußen im wirklichen Leben sind wir immer die Verlierer, hier kann ich wenigstens meine Aggressionen loswerden – einfach mal eine Handgranate werfen, ohne mein Leben zu riskieren.“ Statt mit dem Leben zu bezahlen, bezahlt der „Pate“ 750 irakische Dinar in der Stunde, das sind umgerechnet 30 Cent.

Hischam ist 23 und Pharmaziestudent. Das Geld kriegt er von seinen Eltern. In drei Monaten ist er mit seinem Studium fertig. Dann geht es auf Jobsuche. Bei der derzeitigen Lage in Bagdad sei das ein schwieriges Unterfangen, sagt er. Seine bevorzugte Waffe ist übrigens die Panzerfaust, „weil sie so effektiv ist“. Im Moment gebe es in der Fünfmillionenstadt überhaupt keine coolen Plätze, um auszugehen, findet der „Pate“.

Um 21 Uhr müssen er und seine Freunde zu Hause sein. Danach sind Bagdads Straßen zu gefährlich. Hischam hat einmal versucht, abends einen Freund in einem entfernten Viertel zu besuchen. Auf der Straße wurde ein amerikanischer Militärjeep von einer echten Panzerfaust beschossen. Danach sei die Hölle losgewesen. Als junger irakischer Mann wolle man da nicht in eine amerikanische Straßensperre geraten.

Bis vor ein paar Wochen sind er und seine Freunde noch regelmäßig in ihr Stammcafe gegangen. Seit vor zwei Wochen eine Mine in einem Caféhaus im Bagdader Viertel Adhamiya explodiert ist, lassen sie die Eltern nicht mehr gehen. Deshalb spielen „Matrix“ und der „Pate“ jetzt jeden Abend virtuellen Krieg. Unten im Keller bei den Amerikanern sitzen ihre Gegner, beispielsweise der 19-jährige Seif.

Der nennt sich, „Tim“, nach der Comicfigur, und lenkt grade einen virtuellen Kämpfer durch ein unübersichtliches Häusermeer. Auf die Frage, warum er nichts anderes zu tun habe, als Krieg zu spielen, wo doch draußen jeden Tag Krieg herrsche, weiß er keine rechte Antwort. Irgendwann grinst er und sagt: „Ich bin Krieg gewöhnt. Seit 19 Jahren mache ich die Augen auf, und jeden Tag ist Krieg.“

Dann passiert es: Saddam Hussein taucht auf und schreitet durch einen Torbogen. „Tim“ zögert keine Sekunde und feuert. Der Diktator a. D ist sofort tot.

Doch oben im Parterre hat bestimmt schon wieder ein neuer Spieler in einem neuen Spiel Saddam Hussein als Figur gewählt und mit einer Panzerfaust, einem Scharfschützengewehr oder einer Handgranate ausgerüstet. Zumindest in der virtuellen Welt Bagdads ist Saddam Hussein unsterblich.

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