ukraine: Punkte für Putin
Es sieht aus wie ein grandioser Sieg, ein weiterer Triumph der Vernunft: Die Massen auf der Straße ziehen sich nach einer geordneten Rebellion zurück und überlassen es den zuständigen Institutionen, die Früchte des Protests zu ernten. Dies ist vorbildlich und einmalig. Selten verlaufen Revolutionen nach diesem Muster. Und die Kompetenzen des Parlaments auszuweiten und diejenige des Präsidentenamtes zu beschneiden ist nicht nur vernünftig, sondern logisch. Schließlich geht in postsowjetischen Republiken eine Präsidialregierung allzu oft fließend in eine autokratische Zwangsherrschaft über. Insofern ist die Beschlusslage in der Ukraine löblich. Demokratietheoretisch zumindest.
KOMMENTARVON KLAUS-HELGE DONATH
Doch in Kiew stehen die Dinge anders. Mit der Entscheidung des von „alten“, prorussischen und nichtdemokratischen Mehrheiten geprägten Parlaments, zu eigenen Gunsten die Kompetenzen des neuen Präsidenten zu beschneiden, werden Reformen schwieriger. Dies ist ein Erfolg Moskaus, das nach einer katastrophalen Schlappe seinen Willen jetzt durch die Hintertür lancieren konnte. Mit dem Einlenken Juschtschenkos ist der Protest der Straße gebrochen, der Sieg gegen ein Patt eingetauscht.
Um den Kompromiss zu erreichen, müssen hinter den Kulissen Vereinbarungen zur Teilung der Macht, nicht aber zu ihrer Übernahme getroffen worden sein. Der Kreml neigt nicht zu Lösungen kommunikativen Handelns – es sei denn, er sitzt dauerhaft am kürzeren Hebel. Wer aber in den letzten Wochen die Tiraden aus Moskau über die Entwicklung in Kiew verfolgen konnte, dem zeigte sich die harte Linie: Antiwestliche Schimpfkanonaden und hanebüchene Verschwörungstheorien waren ebenso zu hören wie das Wohlwollen gegenüber einer möglichen Spaltung der Ukraine. Daran beteiligte sich auch der Kreml, der damit demonstrierte, dass er weiterhin den Herausforderungen der Modernisierung innen- wie außenpolitisch nicht gewachsen ist. Die Angst und die Erinnerung an Lenins Diktum „Wenn wir die Ukraine verlieren, verlieren wir den Kopf“ trieb die Machthaber um.
Nun ist die Rebellion ausgebremst und das Faustpfand des Massenprotests vorzeitig preisgegeben. Die Demokraten haben einen schweren Rückschlag erlitten. Moskau hat keinen Grund mehr, Juschtschenko als antirussische Gefahr zu verteufeln, hat er doch am Ende den Sieg mit dem Kreml geteilt. Putin hat ordentlich Punkte gemacht.
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