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Angst beim Fliegen

Auch zivile Flugzeuge können Ziel terroristischer Raketenangriffe sein. Abwehrsysteme schützen davor – sie sind aber teuer und unerforscht

Die terroristische Bedrohung ist näher gerückt. Bei der Festnahme des mutmaßlichen ETA-Chefs in Frankreich hat die französische Polizei in einem Waffenlager zwei Boden-Luft-Raketen gefunden. Auch Saddam Husseins Flugabwehrraketen fehlen. Zuletzt wurde ein Airbus A 300 der Frachtfirma DHL im Anflug auf Bagdad mit ihnen beschossen. Nun könnten auch europäische Urlaubsflieger ins Visier von Terroristen geraten.

Im November 2002 kam eine Boeing der israelischen Luftfahrtgesellschaft unter Beschuss. Die Maschine war von Mombasa Richtung Tel Aviv unterwegs. Sekunden nach dem Start: Das Flugzeug bebt. Was der Pilot erst für einen Zusammenprall mit einem Vogel hält, erweist sich später als Terroranschlag. Unbekannte feuerten zwei tragbare Flugabwehrraketen vom sowjetischen Typ SA-7 auf das Flugzeug. Die Passagieren überlebten – die Raketen waren entweder schlecht gewartet oder die Bediener untrainiert.

Der Anschlag war beileibe kein Einzelfall: Laut Fachzeitschriften wie Jane’s Defense Weekly und Armed Forces Journal International wurden 1975 bis 1998 insgesamt 24 zivile Flugzeuge mit über 600 Menschen durch tragbare Flugabwehrraketen vom Himmel geholt.

Diese Flugabwehrraketen treffen 70 Prozent ihrer Ziele. Die Fachleute von Jane’s gehen von 150.000 so genannter Manpads weltweit aus, andere gar von rund 500.000 solcher Raketen weltweit. 50.000 davon sollen innerhalb von 15 Jahren an Staaten der Dritten Welt verkauft worden, so der Direktor für Terrorismusforschung der Universität im australischen Canberra, Clive Williams. Selbst leistungsfähigste Modelle, wie die von der US-Armee und der Bundeswehr genutzte Stinger-Rakete, gerieten in unbefugte Hände; zum Beispiel weil die CIA 500 bis 1200 solche Raketen in den 80er-Jahren an die afghanischen Mudschaheddin weitergab, damit diese die sowjetischen Flugzeuge und Hubschrauber bekämpfen konnten. Das Londoner Institut für strategische Studien schätzt, dass 20 Terrororganisationen über solche Waffen verfügen, gemäß Jane’s sollen es sogar 30 Gruppen sein.

Frachtgesellschaften, Israel und Politiker nehmen das Thema inzwischen ernst. Das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (Bits) und die Nichtregierungsorganisation Basic forderten hingegen bereits 1994, den Handel mit tragbaren Flugabwehrraketen zu beschränken: Zu leicht könnten sie in die Hände von Terroristen fallen.

Israel will 9 Millionen US-Dollar für die Sicherheit von zehn Fliegern ausgeben. Sowohl die „Air Force One“, die Maschine des amerikanischen Präsidenten, ist mit Abwehrsystemen versehen als auch die deutsche Transall. Die meisten dieser Systeme basieren auf der Irreleitung des feindlichen Flugkörpers etwa mit so genannten Düppeln. Diese mit anderen Metallen beschichteten Aluminiumstreifen reflektieren die Radarstrahlen in hohem Maße und können so durch Veränderung des Radarbildes einen feindlichen Flugkörper ablenken. Auch Täuschkörper, die eine extreme Hitze erzeugen, lenken Raketen ab.

In den USA wehrten sich die Luftfahrtgesellschaften lange gegen solche Abwehrsysteme: Knapp 7.000 zivile Flugzeuge müssten ausgerüstet werden – pro Maschine kostet das circa 1 Million Dollar. Deshalb überlegt das US-Ministerium für Heimatverteidigung, das Geld aus dem Steuersäckel aufzubringen.

Noch gibt es allerdings ungeklärte Fragen: Welche Schäden könnten die Täuschsysteme ihrerseits anrichten, zum Beispiel wenn sie über Städten gezündet werden? Wer käme für die Kosten auf? Deshalb hat der US-Senat im vorigen Jahr 60 Millionen Dollar bewilligt, um die Systeme zunächst testen zu lassen.

Die Frage, welche Gefahr durch Flugabwehrraketen bestehe und wie die Zivilluftfahrt zu schützen sei, war Thema beim G-8-Gipfel im französischen Evian. Bei der Lufthansa gebe es „momentan keine konkreten Vorbereitungen“, so Sprecher Michael Lamberty, man verfolge allerdings die Diskussion.

SUSANNE HÄRPFER

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