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WAHLEN IN SERBIEN: DIE DEMOKRATEN MÜSSEN SICH ZUSAMMENRAUFENZwang regiert, nicht Vernunft

Die Radikalen sind zwar Wahlsieger, die aus der demokratischen Bewegung Serbiens stammenden Parteien werden aber weiter regieren können. Einen Rückfall in das alte Regime wird es also vorerst nicht geben. Noch etwas ist positiv: Das Kuddelmuddel bei der einstigen demokratischen Sammlungsbewegung DOS ist überwunden, die Kleinstparteien sind aus dem Parlament verbannt. Das Parteienspektrum hat jetzt ein klareres Profil. Das ist aber das einzig Tröstliche an diesem Ergebnis, das die Stimmungslage der serbischen Nation klar erkennen lässt.

Dass immerhin weit mehr als ein Drittel der Wähler sich für rechtsradikale oder totalitär handelnde Parteien entschieden hat, deren Führer, wie Šešelj und Milošević, vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag stehen, ist einmalig im heutigen Europa. Es ist vergleichbar mit dem deutschen Gemüt nach dem Vertrag von Versailles. Die Teilniederlage Serbiens in den letzten Balkankriegen sehen viele Serben wie damals die Deutschen als Schmach an. Nicht die Bewältigung der Vergangenheit angesichts des mörderischen Treibens der serbischen Soldateska in Kroatien, Bosnien und im Kosovo wird betrieben, sondern deren Verklärung.

Auch die so genannten demokratischen Parteien bedienen sich nationalistischer Rhetorik. Die Serbische Demokratische Partei des Vojislav Koštunica repräsentiert das Dorf und dessen Begrenztheit, die Serbische Erneuerungsbewegung des Vuk Drašković ist monarchistisch, paktiert mit der archaisch anmutenden orthodoxen Kirche und gibt antisemitische Töne von sich. Die modernere Demokratische Partei und die Wirtschaftsmodernisierer G 17 plus sind gelähmt durch Kämpfe um das Erbe des ermordeten Zoran Djindjić. Dennoch muss sich dieses zersplitterte Konglomerat zusammenraufen. Der ins politische Geschehen zurückgekehrte Vuk Drašković hat nun den Schlüssel in der Hand. Nur wenn er das „demokratische Lager“ unterstützt, kann es eine halbwegs stabile Mehrheit geben. Eine Mehrheit freilich, die sich nicht über die Vernunft, sondern allein über den Zwang konstituieren wird. Wer aber jetzt auf Neuwahlen spekuliert, spielt nur den Rechtsradikalen in die Hände. ERICH RATHFELDER

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