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Wert der tausend Stimmen

Nachrichten aus dem Sommerloch (1): Mit dem schlechten Wetter und Arbeitslosengeld-II-Anträgen kam auch das Ende der Montagsdemonstrationen. Folgenlos waren sie dennoch nicht

von Benno Schirrmeister

Lange keine Montagsdemonstation mehr gesehen. Irgendwo soll es noch welche geben, aber im Grunde ist das vorbei: Im Sommer hatte man noch auf dem Marktplatz in Bremen gesessen und sich mitunter über die Parolen gewundert, die durch ein „offenes Mikrofon“ und knarzende Lautsprecher übers Pflaster geschmettert wurden. Was wohl daraus geworden ist?

Oh, dieses offene Mikrofon! Beim ersten Hören konnte man es noch für eine sehr gut gemeinte basisdemokratische Einrichtung halten. Spätestens am zweiten und dritten Montag erkannte man sie als doppeltes Missverständnis. Einmal, weil sie jene Grundbedingung einer demokratischen Wahl, dass jede Stimme gleich viel wert ist, ohne Bedenken auf den Marktplatz übertragen hatte. Ein gravierender Irrtum, denn der Markt ist und bleibt die Arena des Volksredners: Dort zählt ein sauber artikulierendes Organ tausendmal mehr als aufgeregtes ungeordnetes Stammeln oder stockendes Ablesen von knittrigen Zetteln. Und jedes Mal jene Stimme, die so klang, wie wenn ein Bauchredner seine Handpuppe sprechen lässt, um komisch zu sein. Aber da war keine Handpuppe.

Strategisch war es aber ein noch viel gravierender Fehler: Denn wo ein offenes Mikrofon, da keine gemeinsame Stimme. „Als die neuen Anträge kamen“, erklärt die schleswig-holsteinische Landesvorsitzende der Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG), Annette Gille, das Abebben der Montagsdemos, „hatten die Leute auch viel mit sich selbst zu tun.“ Die individuelle Sorge sei dem organisierten Protest gewichen. Das Ende des Protests durch Individualisierung – das war in ihm bereits angelegt: In Form eines lautsprecherverstärkten Kummerkastens.

Das Ritual hatte schon früh auf den Norden übergegriffen. Anfang August waren aus Sachsen-Anhalt die ersten Montagsdemonstrationen gegen Sozialabbau vermeldet worden. Aber schon Mitte August gab es sie auch in Hamburg, Rostock und Bremen, die Universitätsstädte des Nordens folgten, selbst kleinere Orte tauchten in den Listen auf: Heide, Bergen auf Rügen, Barnstorf: Hat je zuvor ein Mensch in Barnstorf demonstriert? 35 Orte umfasste die Liste in Norddeutschland Mitte Oktober. Alle gegen Hartz IV! Und dabei jeder für sich. Dann kam der Regen. Und die neuen Anträge. Eine vertane Chance?

Aber das Potenzial löst sich nicht in Luft auf: Stark profitiert haben dürfte die WASG. „Es gab im Spätsommer bei uns einen regen Zustrom an Mitgliedern“, bestätigt Gille. Wie es derzeit aussieht, wisse sie nicht. Dass man zur Landtagswahl in Schleswig-Holstein nicht antreten kann, „war von vornherein klar“. Aber: „Wir werden bestimmt nicht die Klappe halten.“ Parteigründung ist im Januar. Dafür macht sich derzeit auch der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern unter dem Vorsitzenden Wolfgang Arndt bereit. „Arndt und andere Aktivisten des Noch-Vereins“, vermeldeten kürzlich die Presseagenturen, „waren als Redner bei Montagsdemonstrationen in Erscheinung getreten.“

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