: Berlin, du geschändete Schönheit
Berlin und sein Regierender Bürgermeister stehen in einem innigeren Verhältnis als vielfach bekannt. Unser Beziehungshoroskop zeigt die himmlischen Gemeinsamkeiten Wowereits und seiner Stadt, warum beide um jeden Preis glänzen wollen und was das kommende Jahr bringen wird
VON MARKUS JEHLE
Was verbindet die Hauptstadt und ihren Ersten Bürgermeister? Welche Art von „Beziehung“ führen sie? Nicht nur für Astrologen eine spannende Frage, schließlich führen beide eine von Wählergunst und Legislaturperioden definierte Lebensabschnittspartnerschaft, eine Art Ehe mit Verfallsdatum.
Das am 1. Oktober 1920 gegründete Groß-Berlin und der 33 Jahre später am gleichen Tag geborene Klaus Wowereit weisen aus astrologischer Sicht erstaunliche Gemeinsamkeiten auf, und zwar weit über den gemeinsamen Geburtstag hinaus. Beide verfügen über ein ausgeprägtes Selbstdarstellungs- und Geltungsbedürfnis, das sich aus dem Anspruch speist, auf der Bühne der Welt und des Lebens eine wichtige Rolle zu spielen (Löwe-Aszendent). Im Rampenlicht der (Welt-)Öffentlichkeit stehend, wollen sie beide gefallen und für ihre Schönheit und Anmut bewundert werden (Waage-Sonne).
Doch der Grat zwischen Gefallen und Gefälligkeit ist schmal, und wer schön sein und glänzen will, der gilt oft als eitel und selbstverliebt. Wowereits Image des Partylöwen (Spitzname: Showereit) passt also bestens zum Geltungsanspruch Berlins, eine Stadt, die genau wie ihr Regierender immer wieder Gefahr läuft, sich selbst und ihre Möglichkeiten zu überschätzen.
Mehr Schein als Sein
Mehr Schein als Sein – Berlins Markenprodukt und Wowereit sein bester Handelsvertreter? Die Gefahr, sich in selbstherrlichen Größenfantasien zu verlieren (Löwe-Neptun im 1. Haus), ist zumindest für die Hauptstadt nicht von der Hand zu weisen. Blamagen wie die kläglich gescheiterte Olympiabewerbung zeigen deutlich, wie weit Schein und Sein manchmal auseinander klaffen können. Auch wenn es gerne verdrängt wird: Großberlin entstand 1920 aus dem Zusammenschluss von sieben umgebenden Städten, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirken, und die Stadt kann bis heute ihre „bäuerlichen“ und provinziellen Wurzeln nicht leugnen (Mond in Stier).
Im Gegensatz zu Berlin wird bei Wowereit die Gefahr der Selbstüberschätzung durch Pragmatismus, Dienstleistungsorientierung und Selbstoptimierungsstreben (Venus und Mars in Jungfrau) in guter Weise ausgeglichen. Falls erforderlich, kann er eben „sparen bis es quietscht“ (Jungfrau im 2. Haus), und die Befriedigung persönlicher Interessen dem Dienst an der Sache unterordnen. Insofern könnte Wowereit ein Glücksfall für Berlin sein, das durch den Größenwahn und die Sorglosigkeit früherer Regierender weitgehend ruiniert und zum Sanierungsfall wurde.
Berlin könnte sich durchaus mit Wowereit als Aushängeschild schmücken, denn seine Rolle als oberster Repräsentant dieser Stadt schmückt zugleich ihn (gemeinsame Löwe/Waage-Thematik). Auf einer solchen Basis kann eine Beziehung lange halten, sofern sie sich nicht in wechselseitiger Selbstbespiegelung erschöpft und in Narzissmus mündet.
Morbide Schönheit
Doch die erstrebte Anmut und Schönheit Berlins hat auch ihre dunklen Seiten. Fast scheint es, als müsste sich die Stadt immer wieder selbst bestrafen und genau das zerstören, was sie an Schönem geschaffen hat und immer wieder schafft (Waage-Sonne Quadrat Pluto).
Berlin ist unübersehbar auch eine morbide und geschändete Stadt. Weit über die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges hinaus mündet ihr Versuch, zu glänzen und zu gefallen, immer wieder in monumentalen Ungetümen und Hässlichkeiten, die beispielsweise in der Architektur mehr als offensichtlich sind.
Selbst dann, wenn sie sich mit steingewordener Hässlichkeit schmücken könnte, wie im Fall der Berliner Mauer, reißt sie diese nieder, um aus der Tilgung der Schande erst recht eine solche zu machen.
Die andere Seite diese Selbstzerstörungstriebs zeigt sich darin, dass Berlin sich immer wieder neu erschaffen kann, ja fast schon zwanghaft aus Ruinen auferstehen muss, um so seine Identität und das eigene Überleben zu sichern. Ohne tief greifende Krisen kann Berlin nicht bestehen, auch wenn die Stadt sich gelegentlich in Abgründe stürzt, aus denen dann doch kein strahlender Phoenix emporsteigt.
Aussichten für 2005
Sowohl für Wowereit als auch für Berlin stehen im Jahr 2005 harte, aber durchaus lohnenswerte Bewährungsproben an. Beide müssen insbesondere in der zweiten Jahreshälfte unter Beweis stellen, inwieweit sie ihrer „Königsrolle“ und dem damit verbundenen Geltungsbedürfnis und Führungsanspruch tatsächlich gewachsen sind (Transit-Saturn am Löwe-Aszendenten).
Nur wenn es ihnen gelingt, Schein und Sein in Einklang zu bringen, werden sie sich den notwendigen Respekt verschaffen können, um von der Welt ernst genommen und in ihrem Anspruch an die eigene Bedeutung und Wichtigkeit bestätigt zu werden. Jede Form der Selbstüberschätzung dagegen dürfte 2005 enttarnt und das eigene Geltungsbedürfnis somit auf ein realistisches Maß zurechtgestutzt werden. Man darf also gespannt sein, inwieweit die per Verfassungsklage angestrebte Bundeshilfe in Höhe von rund 30 Milliarden Euro durchsetzbar ist.
Glücklicherweise bieten sich sowohl Wowereit als auch Berlin gute Chancen, ihre Anliegen selbstbewusst zum Ausdruck zu bringen und andere für die eigenen Ideen und Ansichten zu gewinnen (Transit-Jupiter auf Waage-Sonne und Waage-Merkur). Am Ausgang der Anwohnerklagen gegen den geplanten Großflughafen Schönefeld wird sich zeigen, ob Berlin sich wieder einmal, wie so oft, selbst überschätzt oder tatsächlich den eigenen Ansprüchen gerecht werden kann. Die Chancen für einen Kompromiss stehen günstig, sofern er fair und gerecht ausfällt und allen Beteiligten nützt (Jupiter in Waage).
Was die Vorbereitungen auf die Senatswahlen 2006 anbetrifft, kann Wowereit letztendlich nur an sich selbst und seiner ihm eigenen Sprunghaftigkeit scheitern (Mond/Uranus Quadrat Merkur, Neptun und Saturn). Wer immer als CDU-Kandidat gegen ihn antritt, er wird sich auf Überraschungen gefasst machen müssen.
Dass Wowereit seit neuestem auch Frauen inniglich zu küssen vermag (Transit-Uranus Opposition Venus und Mars) ist dazu erst ein Auftakt. Sein Bedürfnis, „anders“ zu sein und seine Unabhängigkeit zu bewahren, birgt einerseits die Gefahr der Selbstentfremdung und ist andererseits sein größter Trumpf beim Kampf um den „Königsthron“.
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