truthahn und betonfüße von RALF SOTSCHECK:
Mary Quinn, unsere Nachbarin, kennt so gut wie jeden in Dublin. Sie kennt auch die dazugehörigen Berufe und handwerklichen Fähigkeiten. Benötigt man einen Maler, Heizungsmonteur oder Fernsehmechaniker, muss man nur Mary Quinn fragen. Neulich schwärmte sie von Manuel, der einen Partyservice betreibt und bei Festlichkeiten aller Art Schnittchen, gebratene Würste und andere Köstlichkeiten der irischen Küche anliefert. Sie hatte ihn für die Geburtstagsfeier ihres Mannes Robbie angeheuert.
Ein paar Tage später warnte sie uns vor Manuel. Waren die Schnittchen vertrocknet oder die Würstchen geplatzt? „Nein, das Essen ist so genießbar wie immer gewesen“, meinte Mary. „Aber er hat mir einen Freund als führenden Holzlattenzaunkonstrukteur Dublins empfohlen.“ Mary wollte sich im Garten einen sechs Meter langen Zaun am Nachbargrundstück bauen lassen, weil der alte mittlerweile recht schäbig aussah. Als sie Manuel nach dem Preis fragte, antwortete er: „Da mach dir mal keine Sorgen.“
Mary machte sich aber Sorgen, denn der Experte entpuppte sich als Bonzo, der Bruder von Manuel. Er hatte noch nie einen Zaun gebaut, aber in einem Do-it-yourself-Buch darüber gelesen. In dem Buch stand nichts über Wurzeln. „Wer hat den Baum so groß wachsen lassen“, fragte er, „dass jetzt die Wurzeln dort liegen, wo der Zaun hinsoll?“ Er wollte einige Latten vorsichtshalber in Beton eingießen. Mary war inzwischen noch misstrauischer und überlegte, ob es gescheiter wäre, Bonzos Füße in Beton einzugießen und ihn in der Liffey zu versenken.
Um ihr Vertrauen zurückzugewinnen, versprach Bonzo, ihr einen Freilandtruthahn zu Weihnachten zu besorgen – von einem weiteren Bruder, der die Tiere züchtete. „Ich muss vorübergehend den Verstand verloren haben“, meinte Mary, „denn ich willigte ein.“ Am Heiligabend um Mitternacht hatte sie alles für das Weihnachtsessen vorbereitet, die Kartoffeln waren geschält, das Gemüse geputzt, der Truthahn gefüllt. Da wehte ihr plötzlich der Verwesungsgeruch vom Truthahn in die Nase. „Der Truthahn ist hinüber, er riecht grauenhaft“, erklärte sie Robbie. „Warum musstest du auch daran riechen“, empörte der sich. „Wir hätten ihn sonst morgen in Ruhe essen können, und keiner hätte etwas gemerkt.“
Wie sollte man nun die Gäste am nächsten Tag satt bekommen? Mary rief ihren Bruder an und bat ihn um Hilfe. Am Heiligabend einen Truthahn zu besorgen ist keine leichte Aufgabe. Nachts um zwei rief der Bruder zurück. „Sei in fünf Stunden auf dem Parkplatz der Kneipe Halfway House“, sagte er. „Dort findet die Truthahnübergabe statt. Der Eigentümer will dafür eine große Dose Kekse, weil die Katze seine Weihnachtsplätzchen gefressen hat.“ Der Onkel der Frau des Bruders hatte bei der Verlosung im Rotary Club einen Truthahn gewonnen, aber vorher bereits einen beim Fleischer bestellt. So hatte er nun einen übrig.
Der Zaun war auch rechtzeitig fertig geworden. Er war schief. Und er hatte 800 Euro gekostet – bei sechs Meter Länge. Dafür hätte Mary einen aus Zinn kaufen können. Beim Schneesturm am ersten Feiertag fiel der Zaun einfach um. Nur die Latten mit den Betonfüßen blieben stehen.
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