piwik no script img

LITAUENS AKW IGNALINA-1 IST VOM NETZ. STILLLEGUNG DURCH EU-BEITRITTKein Anlass, stolz zu sein

Vor drei Monaten hatte auch im Baltikum die Erde gebebt. Die 5,3 auf der Richterskala waren in den Gebäuden der Atomkraftreaktoren von Ignalina in Litauen deutlich zu spüren. Der schon zuvor an vielen Stellen rissige Beton sprang weiter auf. Seit Jahrhunderten hatte es in diesem Gebiet kein so starkes Beben gegeben. Dafür, was einige Zehntel mehr auf der Richterskala mit den Tschernobyl-Konstruktionen rund 700 Kilometer nordöstlich von Berlin entfernt hätten anstellen können, ist keine sonderliche Fantasie erforderlich. Dass in der Silvesternacht der erste der beiden Reaktoren von Ignalina endgültig abgeschaltet worden ist, ist deshalb eine gute Nachricht.

Ohne den EU-Beitritt Litauens wäre dies nicht möglich gewesen. Die in Litauen heftig umstrittene Stilllegung war die mit Abstand härteste Nuss bei den Beitrittsverhandlungen des Landes. Doch waren die Verhandler aus Brüssel schon zur Härte gezwungen, um nicht die eigene Atomwirtschaft mit ihren „sicheren“ Anlagen noch mehr in Misskredit zu bringen, indem sie solche Zeitbomben duldet. Deswegen ging Ignalina vom Netz, so auch der slowakische Altreaktor von Bohunice und zwei Anlagen im bulgarischen Kosloduj – die Regierung in Sofia strebt den EU-Beitritt für 2007 an.

Ignalina-1 ist nur einer der 19 Atomreaktoren, den die EU mit der Osterweiterung in fünf neuen Beitrittsländern „geerbt“ hat. Ignalina-2 darf bis 2009 weiterlaufen, die Konstruktionen in Bohunice bis 2006 und 2008. Ähnliche lange Übergangsfristen gelten auch für Kosloduj-3 und -4. Und nicht weiter einmischen will sich die EU in das Schicksal der restlichen Altreaktoren – darunter der slowenische Druckwasserreaktor Krsko in einem Erdbebengebiet.

Nicht nur, dass etwa die Slowakei auf eigene Faust neue AKWs baut, auch mit der EU soll es eine atomare Zukunft geben. Mit ihrer Hilfe werden zwei Kosloduj-Reaktoren „modernisiert“ und in der Ukraine zwei weitere fertig gebaut. Auch Litauen möchte gerne neue Reaktoren haben. Sehen lassen kann sich die AKW-Politik der EU nicht. Zurzeit steht es 1:18. REINHARD WOLFF

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen