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„Ich bin’s nicht, ich spreche sie nur“

Daniela Hoffmann

„Ich komme aus ärmlichen Verhältnissenin Prenzlauer Berg. Wenn ich ein Stück Kuchen haben wollte, sagte meine Mutter: 53 Pfennig – das ist zu teuer.Trotzdem war meine Kindheit geil“„Man muss sich irgendwie in die Presse drängen,und das ist etwas, was mir absolut nicht liegt.Ich denke dann: Oh Gott, ich bin zu dickoder das Kleid passt nicht“

Wer Julia Roberts hören möchte, muss nach Bergfelde bei Berlin fahren. Denn hier, in einem unscheinbaren Einfamilienhaus, lebt Daniela Hoffmann. Sie ist die deutsche Stimme von Ally McBeal, Jamie Lee Curtis oder der Mutter von Anakin in „Star Wars“. Ab Donnerstag ist Hoffmann auch in Julia Roberts neuestem Film „Hautnah“ zu hören. Doch die 41-jährige Berlinerin mag es nicht, auf ihre Stimme reduziert zu werden. Hoffmann steht selbst regelmäßig vor der Kamera. Jeden Dienstag um 20.15 Uhr im Ersten bei „Praxis Bülowbogen“ zum Beispiel. Und im Osten ist sie als Jette in „Zille und ick“ oder als Marita in „Ete und Ali“ schon seit den frühen 80ern bekannt.

Interview Felix Lee

taz: Frau Hoffmann, so wie in Hollywood sieht es hier in Bergfelde nicht gerade aus.

Daniela Hoffmann: Finden Sie nicht?

Hätten Sie manchmal gerne den Glamour um sich herum, wie ihn all die Hollywoodstars haben, denen Sie Ihre Stimme leihen?

Nicht wirklich.

Wie wurden Sie zur deutschen Stimme von Julia Roberts?

Für den Film „Pretty Woman“ gab es ein ganz normales Casting. Damals kannte mich im Westen natürlich keiner. Julia Roberts aber auch nicht. Niemand hatte damit gerechnet, dass „Pretty Woman“ ein solcher Renner werden würde. Vielleicht hätten die mich auch gar nicht gecastet, wenn sie geahnt hätten, was für ein Star Julia mal werden würde.

Hatten Sie damit gerechnet?

Nein, ich hielt sie zwar für keine schlechte Schauspielerin. Aber es gab viele Sternchen, die mindestens genauso gut waren: Sharon Stone, Wynona Ryder. Nur Julia hat es geschafft, anderthalb Jahrzehnte ununterbrochen gefragt zu bleiben. Damit hatte ich nicht gerechnet. Sie hat etwas, was man sich weder kaufen noch antrainieren kann.

Haben Sie diese Ausstrahlung auch?

Auf der Bühne wird mir nachgesagt, dass ich sehr präsent bin. Aber Julia zu ähneln – das würde ich nicht mal behaupten, wenn ich ihr ähnlich sähe. Selbst in der Stimme bringe ich in der Regel einen Tick mehr Herzschmerz ein, einfach weil ich finde, dass es zu ihrem Gesicht besser passt.

Bleibt Ihnen beim Synchronisieren viel Gestaltungsspielraum?

Das ist unterschiedlich. Manchmal schicken die einen Supervisor, der alles haargenau vorgibt – was sehr komisch ist, weil die Amis oft kein Deutsch können. Meistens herrscht aber Narrenfreiheit, und sie sind zufrieden.

Wie bereiten Sie sich vor?

Früher bekamen wir eine VHS zugeschickt. Heute gibt es die Filme nicht mehr, weil die Produzenten Schiss vor Raubkopierern haben. Die glauben tatsächlich, dass wir die Filme ins Internet stellen könnten. Nun müssten wir also immer in die Studios fahren und uns eine Vorführung angucken. Das ist mir aber zu aufwändig. Ich bekomme ja nicht mal die Fahrt bezahlt.

Also sehen Sie den Film beim Synchronisieren zum ersten Mal?

Wenn ich komme, erzählt mir der Regisseur, um was es grob geht. Der Film wird dann in Schnipsel zerschnitten, und ich hangele mich dann von Szene zu Szene. Die kürzeste Szene ist einen Atmer lang, die längste zirka acht Sätze – aber auch nur, wenn einer ohne Punkt und Komma redet. Die Sätze der einzelnen Filmsequenzen muss ich möglichst nach einem Mal lesen auswendig können, damit ich mich beim Sprechen ganz auf die Mundschlüsse konzentrieren kann.

Im Alltag sprechen Sie sehr flott. Macht das Julia Roberts im Original auch?

Das macht eher Ally McBeal, was wohl auch der Grund war, warum die mich für diese Rolle ausgesucht haben. Sie brauchten eine, die schnell schwierige Wörter sowie juristische Fachbegriffe sauber ausspricht.

Haben Sie sich vertraglich verpflichtet, all diese Stimmen bis zum Ende ihrer Filmkarrieren zu sprechen?

Verpflichtet habe ich mich nicht. Umgekehrt müssen die Firmen mich auch nicht immer engagieren. In dem Film „Grüne Tomaten“ habe ich zum Beispiel Mary Stuart-Masterson gesprochen. Dann wurde ein Film von ihr in München synchronisiert, und mir wurde mitgeteilt, ich sei zu teuer – extra aus Berlin eingeflogen zu werden. Seitdem gibt es zwei Stimmen.

Wen sprechen Sie am liebsten?

Ally ist mir nach den vielen Folgen sehr nahe gekommen. Irgendwann musste ich den Text nur anlesen, und ich wusste schon, was kommt. Das war total Klasse. Dann habe ich auf den einen oder anderen für sie so typischen Kiekslaut noch einen draufgesetzt.

Machen Sie diese Laute sonst auch?

Normalerweise nicht. Allerdings habe ich mich mal beim Drehen dabei ertappt, wie mir bei einer besonders spaßigen Szene dieses „Ups, oh oh“ herausgerutscht ist und ich gedacht habe: Hai jo, woher kommt das denn?

Was denken Sie beim Synchronisieren von Sexszenen?

Ich versuche mich allein darauf zu konzentrieren, so zu atmen, dass ich nicht hyperventiliere und umkippe. Das ist im Studio nämlich auch schon passiert.

Haben Sie eine dieser Schauspielerinnen mal persönlich getroffen und gesagt: Hello, I am your German voice?

Nein, wir Synchronsprecher interessieren die Amis doch gar nicht. Die kommen zwar zu Premierenfeiern, zu denen ich auch eingeladen werde. Aber über ein Hello, nice to see you ist es noch nicht hinausgekommen.

Sie verspüren nicht den Drang, sie mal persönlich kennen zu lernen?

Überhaupt nicht. Die Leute denken, mein Berufsleben hängt von Julia Roberts ab. Das ist Quatsch. Ich spreche sie einmal im Jahr in einem Film zwei Tage lang. Das ist alles. Die Leute finden das aber so maßlos interessant, weil sie denken, ich bin das ganze Jahr lang damit beschäftigt, Julia zu synchronisieren. Weder erfüllt mich das künstlerisch, noch kann ich davon leben.

Was verdienen Sie als Sprecherin?

Dafür, dass mich im Kino zehn Millionen Menschen hören, bleiben mir pro Film kaum mehr als 500 bis 1.500 Euro netto, je nach Größe der Rolle. Für „Pretty Woman“ gab es damals 1.800 Mark, vor Steuern – für eine Woche Arbeit. Wenn ich selbst vor der Kamera stehe, bekomme ich ein Vielfaches.

Wenn es sich finanziell nicht lohnt – warum synchronisieren Sie dann?

Ein wesentlicher Grund bei mir war die Geburt meiner beiden Kinder. Mit einem dicken Bauch kann ich nicht drehen, synchronisieren hingegen schon.

Ist es Ihnen schon passiert, dass Sie beim Pizzaservice angerufen haben, der Ihnen dann sagte: Oh, da spreche ich ja mit Julia?

Nein. Häufiger werde ich von Leuten angesprochen, weil sie mich als Frau von Doktor Sommerfeld aus der Serie „Praxis Bülowbogen“ kennen. Und darüber bin ich auch ganz froh.

Das klingt so, als ob Julia Roberts eine Last für Ihre Karriere darstellt.

Als sie den Oscar erhielt, bekam ich jeden Tag zehn Anrufe. Da habe ich gesagt: Ey, Leute, ihr könnt mich gerne über mich befragen, aber nicht über sie. Ruft sie doch in Amerika an. Nur weil die deutschen Klatschjournalisten nicht an die Superstars selbst herankommen, nehmen sie mich als Ersatz. Ich bin’s nicht, ich spreche sie nur. Wenn ich morgen vom Lkw überfahren werde, macht es Lieschen Müller, und nach zwei Monaten haben sich auch alle an diese Stimme gewöhnt. Natürlich bin ich viel stolzer auf das, was ich selbst drehe.

Wie kamen Sie zur Schauspielerei?

Mich hat es schon als kleines Mädchen fasziniert, wenn das Licht ausging und wir hinter der Bühne standen, wo es duster ist. Mit acht stand ich dann das erste Mal vor der Kamera, mit 13 war ich im Fernsehen, mit 18 auf der Schauspielschule in Leipzig. Nach einem Jahr durfte ich dann bereits meinen ersten Kinofilm drehen: „Zille und ick“ hieß der und war richtig gut. Meine späteren Filme fand ich manchmal nicht so toll. Aber bei „Zille und ick“ spiele ich, als hätte ich nie was anderes gemacht. Irgendwie passte die Rolle auch zu mir: ein Mädchen aus der Gosse.

Sind Sie selbst so aufgewachsen?

Zumindest komme ich aus ärmlichen Verhältnissen in Prenzlauer Berg. Damals waren aber 80 Prozent im Osten arm. Wir hatten keinen Fernseher und ziemlich spät erst einen Kühlschrank. Natürlich hatten wir Ofenheizung, natürlich musste ich früh um fünf aufstehen und Kohlen holen. Und wenn ich ein Stück Kuchen haben wollte, sagte meine Mutter: 53 Pfennig – das ist zu teuer. Trotzdem war meine Kindheit geil. Ich hatte meine Puppe, wir haben Gummihopse gespielt und mit Murmeln. Mangel schafft eben auch Fantasie.

Und im Sommer 1989 verließen Sie den Osten.

Ich habe immer gesagt, die DDR war okay, solange man ein Kind war. Sobald man anfing, politisch zu denken, gab es aber Probleme. Ich war im Berliner Ensemble, was eben ein politisches Theater ist. Immer dieser rote Zeigefinger – das ging mir auf die Nerven. Ich wollte auch mal in einem Remarque schmökern, ohne mich als zu pazifistisch beschimpfen zu lassen. Ich wollte nicht jeden Tag in der Zeitung lesen, was die LPG Rote Rübe wieder zu 800 Prozent übererfüllt hat. Ich wollte die Welt sehen.

War es im Westen einfacher?

In der DDR war ich ja bereits ein kleiner Oststar. Die meisten kannten mich aus dem Film „Ete und Ali“. Vor Neuanfängen habe ich aber noch nie Angst gehabt. Ich habe einfach wieder vorgetanzt, bei einer Revue mitgemacht, und irgendwann war ich wieder im Geschäft.

Und kurze Zeit später fiel die Mauer. Sehr ärgerlich, oder?

Überhaupt nicht. Ich konnte ja meine Eltern und Freundinnen wiedersehen. Okay, es war schlimm, dass gerade die Leute, die vorher die dicksten Parteibücher hatten, auch die Ersten waren, die dicke Portmonees mit Westgeld hatten. Ich werde nie vergessen, wie ein ehemaliger Kollege mir erzählte, er müsse den Wasserstand in seinem Pool um zehn Zentimeter senken, weil die Energiekosten zu hoch seien. Zur gleichen Zeit lebte ich im Lager in Marienfelde. Mittlerweile sehe ich das ganz entspannt. Die wollen auch bloß irgendwie unterkommen.

Sie sind wieder in den Osten gegangen. Wollten Sie nie ein gesamtdeutscher Filmstar werden?

Wer ist in Deutschland schon ein Star?

Franka Potente.

Die wird auch nicht gerade mit Angeboten überschüttet. Das sagt sie selbst. Natürlich gibt es auch tolle Schauspieler wie Martina Gedeck oder Dagmar Manzel. Manche Schauspieler sind auch nur aus sehr zweifelhaften Gründen bekannt. Man muss sich irgendwie in die Presse drängen, und das ist etwas, was mir absolut nicht liegt. Ich denke dann: Oh Gott, ich bin zu dick oder das Kleid passt nicht. Ich möchte nicht rumlaufen und jeder tuschelt über mich. Das ist doch furchtbar, wenn ich nicht mal mehr in Ruhe in der Nase popeln kann, ohne gleich abgelichtet zu werden.

Dann haben Sie den falschen Beruf.

Ich mag meinen Beruf. Er ist angenehm, mit fast immer netten Leuten, meistens mit sehr viel Spaß, und Geld verdiene ich auch. Nicht mehr und nicht weniger.

Freuen sich Ihre Kinder über eine Mutter, die so professionell die Gutenachtgeschichten vorliest?

Meine Lesekünste sind für sie die Normalität. Schlimm ist es bloß, wenn Opa vorlesen soll und die Kinder dann antworten: Das hört sich ja doof an. Sie erwarten, dass vier Personen auch mit vier Stimmen gelesen werden.

Klingt gediegen und familiär. Hatten Sie wirklich nie Hollywoodambitionen?

Um Gottes willen. Mal ganz ehrlich: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Amerika auf eine 41-jährige Blondine aus Deutschland wartet.

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