: Die Suche nach Gefühl
Auch beim Skifliegen am Kulm spielen die deutschen Springer eine eher untergeordnete Rolle. Die Siege gehen an den Polen Adam Malysz sowie den Österreicher Andreas Widhölzl
AUS BAD MITTERNDORF KATHRIN ZEILANN
Die deutsche Reisegruppe, die sich aufgemacht hatte, um an der Skiflugschanze am Kulm bei Bad Mitterndorf weite Flüge zu wagen, war nur klein. Selbst Cheftrainer Peter Rohwein fehlte, er musste sein verletztes Knie operieren lassen; auch Alexander Herr hatte sich zwangsweise aus dem Team verabschiedet, nachdem er sich bei einem Sturz in Willingen das Kreuzband gerissen hatte. Martin Schmitt wiederum soll unvermindert abseits des Weltcups für die anstehende Weltmeisterschaft im eigenen Land flottgemacht werden, auch Stephan Hocke sucht nach seiner Form. Und Nachrücker aus der zweiten Reihe, die das deutsche Kontingent von acht möglichen Startern hätten auffüllen können, gab es nicht. „Es hat sich niemand aufgedrängt“, sagte Co-Trainer Henry Glass, der als Rohweins Vertretung die Fahne zum Start senken durfte.
Die Nachwuchsproblematik bei Deutschlands Skispringern könnte kaum besser verdeutlicht werden. Zumal die fünf Athleten unter Glass’ Obhut auch beim Skiflug-Weltcup nicht weiter aufgefallen sind: Michael Uhrmann reihte sich gestern als Bester auf Rang sieben ein, Michael Neumayer (Berchtesgaden) kam auf den 18. Rang. Bereits am Tag zuvor hatte es die Plätze zwölf für Uhrmann und 14 für Georg Späth gegeben. Am Kulm gewinnen durfte gestern der Pole Adam Malysz sowie am Vortag der Österreicher Andreas Widhölzl – und das sicherlich nicht nur, weil sie am weitesten geflogen ist, sondern auch, weil Seriensieger Janne Ahonen sich hatte entschuldigen lassen und somit das Siegerpodest frei war. Der Finne, der mit großem Abstand die Weltcup-Wertung anführt, war mit grippalem Infekt im heimischen Lathi geblieben.
Einen Monat vor der Weltmeisterschaft in Oberstdorf plagt sich das Skispringen in Deutschland mit Themen wie Formsuche, Ergebnisse im Mittelmaß und Herrs schwerem Sturz herum, mit Medaillenträumen eher nicht. Späth und Uhrmann sind derzeit die größten Hoffnungsträger, räumen aber selbst noch Nachholbedarf ein. „Ich muss noch mehr Konstanz in die Sprünge bringen und sie auf einem hohen Niveau stabilisieren“, sagt Späth. Uhrmann absolviert parallel zum Weltcup einen dreiwöchigen Block „Athletik-Training“ zur Verbesserung der Sprungkraft, was er als vielversprechendes Experiment ansieht. „Das ist bis jetzt bei uns in der Mannschaft noch nicht gemacht worden. Ich glaube aber, dass das für mich das Richtige ist.“ Das Risiko dabei: Die Technik könnte leiden, wenn nebenbei im Kraftbereich trainiert wird. „Ich muss dafür in Kauf nehmen, dass es in den nächsten Weltcups nicht ganz so optimal läuft“, weiß Uhrmann.
Eine Bestätigung dieser Vermutung hat er in Bad Mitterndorf erhalten. Die Flüge seien schlecht gewesen, die Leichtigkeit des Fliegens, von der Samstag-Sieger Widhölzl und andere erfolgreiche Flugkünstler begeistert berichteten, habe er nicht verspürt. Uhrmann: „Das Gefühl war nicht da. Im zweiten Sprung am Samstag bin ich zwar fast 200 Meter weit geflogen; das müsste ein schönes Gefühl sein, aber bei mir war es nur ein Kampf.“
Während seine Kollegen sich auf das Skifliegen vorbereiteten, ist Alexander Herr erfolgreich am Knie operiert worden. Bei wechselhaften Windbedingungen war er beim Teamwettkampf in Willingen vor mehr als einer Woche gestürzt und hatte sich dabei zum zweiten Mal das Kreuzband gerissen sowie zusätzlich Knorpel und Meniskus verletzt. Für die WM war er bereits qualifiziert, jetzt wird er nur als Zuschauer nach Oberstdorf reisen können.
Seine Klagen über die Jury waren verständlicherweise laut („Die Show zählt mehr als die Springer“), denn er war gut in Form für die WM, sie sind aber schnell beiseite gewischt worden und mittlerweile verhallt. Der Sturz sei auf einen Fehler des Athleten zurückzuführen, sagt Toni Innauer, nordischer Direktor im Österreichischen Skiverband (ÖSV) und Olympiasieger von 1980. „Man hat gesehen, dass andere in diesen Weitenbereichen sicher landen konnten. Bei Herr hat das Timing nicht gestimmt.“ Außerdem, findet Innauer, könnten sich die Springer ruhig damit abfinden, als „gut bezahlte Stuntmen“ zu Tale zu segeln. So gesehen war das Skifliegen am Kulm eine wirklich gute Show.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen