piwik no script img

normalzeitHELMUT HÖGE über Sex in the Intercity

Als ich neulich beiläufig erwähnte, ich hätte meine Freundin im Intercity kennen gelernt – da ging es aber los. Als würden Reisende beim Überschreiten der Bahnsteigkante alle Bande frommer Scheu abstreifen, so kam mir das vor. Erst erzählte Jens, dass eine ältere Schweizerin ihn mal vom Bahnhof Basel weg in ihr Chalet eingeladen habe, nachdem er im Bord-Bistro für beide einen Schümli bestellt hatte.

Dann setzte Detlef noch einen drauf, indem er versicherte, dass es neulich zwischen Weimar und Halle nachts im Erster-Klasse-Abteil zwischen ihm und der Fahrkartenkontrolleurin erst zu heavy petting gekommen sei – und dann zu noch mehr: Weil sein Zug wegen einer Baustelle Verspätung hatte, habe sich die Kontrolleurin auf ihrem Handy nach Anschlusszügen erkundigt. Als das ergebnislos blieb, habe er sich frustriert eine Zigarette angezündet, woraufhin die Kontrolleurin ihn darauf aufmerksam gemacht habe, dass er sich in einem Nichtraucherabteil befinde. „Kommen Sie mit!“, habe sie gesagt – und dann seien sie beide ins Erster-Klasse-Raucherabteil gegangen, wo sie erst geraucht und geredet hätten und sich dabei immer näher gekommen seien. Aber viel zu schnell hätten sie Halle erreicht.

Da er nicht gewusst habe, wohin die Nacht, habe die Kontrolleurin ihn zu sich eingeladen: Sie hatte Feierabend und wohnte in Halle. In ihrer komplett eingerichteten kleinen Wohnung sei er jedoch überfordert gewesen. „Im Zug, das war was anderes – ein Abenteuer. Zu gerne hätte ich mich mit ihr auf dem Behindertenklo eingeschlossen, aber sie wollte nicht, es sollte anständig sein – auf ihrem Doppelbett. Klar, sie war auf Arbeit im Zug und ich unterwegs …“

„Das erklärt es nicht“, meinte Klaus und erzählte, wie er mal von Prag nach Berlin nachts in Bad Schandau gelandet sei, ohne Anschlusszug. Damals war die Strecke noch halb gesperrt wegen der Flutkatastrophe an der Elbe. Mit ihm stand nur noch das Mitropa-Team auf dem Bahnsteig. Der Lokführer habe ihnen angeboten, sie bis nach Dresden zu bringen. Er sei jetzt aber aus dem Fahrplan und müsse allen Zügen die Vorfahrt lassen, was dauern könne. In Dresden fänden sie leichter eine Unterkunft.

Also stiegen die drei wieder in den Zug. Die Waggons waren nun dunkel und kalt. Irgendwann fingen die Mitropa-Kellnerin und ihr Kollege an, zu flüstern, sich zu umarmen und zu küssen, dann wurde ihr Gerangel immer heftiger. Anhand der Geräusche konnte Klaus bald erkennen, dass sie vögelten. Manchmal tauchte kurz der eine oder andere Kopf über den Sitzen auf. Klaus fand das alles sehr erregend – auf alle Fälle sehr kurzweilig. In Dresden waren die beiden fertig und nahmen sich ein Taxi. Marcel erzählte, dass er im Herbst von Berlin nach Warnemünde gefahren sei. Er wollte dort das Wochenende allein verbringen, aber noch im Zug habe er eine Frau mit Hund kennen gelernt. Sie hätten sich so gut verstanden, dass sie gleich zusammen ins Hotel Neptun gegangen seien, wo es dann an der Rezeption ein bisschen peinlich wurde, weil er ihren Namen nicht wusste und sie seinen nicht. Auch im Bett war es dann „nicht erste Sahne“ – aber dafür seien die gemeinsamen Spaziergänge am Strand sehr schön gewesen …

Jürgen hatte mal nachts zwischen Kassel und Mailand mit einem italienischen Schlafwagenschaffner auf dem Gang einen Joint geraucht, woraufhin der ihn samt Gepäck aus seinem Schlafwagenabteil, das Jürgen sich mit zwei schnarchenden Männern teilte, rauskomplimentiert und in ein anderes Abteil, in dem eine dänische Tennisspielerin lag und noch las, reinbugsiert habe. Mit dem Erfolg, dass er in den Tagen darauf alle Tennisplätze in und um Mailand kennen gelernt habe.

Die Dänin verließ ihn jedoch, nachdem sie einmal mit ihm, der völlig unsportlich ist, gespielt hatte, um sich warm zu machen. „Aber das sind doch alles keine Intercity-Sexerlebnisse“, warf ich ein, „Weimar, Warnemünde, Bad Schandau – das sind doch bloß Interregio-Strecken …“ Marcel und Jens waren mit mir einer Meinung. Sie blieben jedoch dabei, dass sie nach Mailand beziehungsweise Basel mit einem IC gefahren seien, wobei der eine ein so genannter Nighttrain gewesen sei, was ja an sich schon sehr vielversprechend klinge.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen