: „Die Engpässe sind absehbar“
KITASTREIK Schwierige Kinder, große Gruppen – und wenig Geld. Der Protest der ErzieherInnen müsste sich gegen eine Politik richten, die die eigenen Versprechen nicht hält, sagt der Fachberater Elimar Sturmhoebel
■ Öffentlichkeitsreferent bei SOAL Hamburg, einem alternativen Wohlfahrtsverband, der zur Kitabetreuung berät. Foto: Privat
INTERVIEW MAXIMILIAN PROBST
taz: Herr Sturmhoebel, ist der Streik der Kita-Beschäftigten berechtigt?
Elimar Sturmhoebel: Auf jeden Fall. Der Kita-Alltag heute ist für die ErzieherInnen extrem belastend. Bei uns ist das so genannte Burn-out-Syndrom immer häufiger Thema von Beratungsgesprächen. Es häufen sich auch langwierige krankheitsbedingte Ausfälle von den ErzieherInnen. Ganz allgemein ist die Überlastung in den letzten Jahren vorangeschritten.
Kritiker sagen, dass der Gesundheitsaspekt vorgeschoben ist, dass sich der Streik eigentlich ums Geld dreht.
Die ErzieherInnen weisen sicherlich zurecht auf die zu niedrige Bezahlung hin. Bei den Gewerkschaften ist aber auch ein bisschen Doppelzüngigkeit im Spiel. Die haben ja 2005 dem neuen Tarifvertrag zugestimmt, als Nachfolge zum BAT, mit dem Ergebnis, dass gerade junge ErzieherInnen erheblich weniger verdienen. Das Netzwerk kritischer demokratischer Gewerkschafter hat ausgerechnet, dass der neue Tarifvertrag bei einer Erzieherin im schlimmsten Fall über das ganze Berufsleben hinweg 240.000 Euro weniger Einkommen bedeuten kann.
Womit die Attraktivität des Jobs erheblich sinkt …
Das Dumme dabei ist, dass bereits jetzt absehbar ist, dass wir bei den ErzieherInnen Engpässe in den kommenden Jahren bekommen werden.
Woher kommen die gestiegenen Belastungen?
Das fängt mit den Kindern an. Denn die sind selber immer größeren Belastungen in der Familie ausgesetzt, und die bringen sie dann mit in die Kita.
Was für Belastungen meinen Sie?
Die Kinder haben weniger kindgerechte Lebensumgebung in der Stadt. Und es ist eine Aufgabe der Kitas, hier kompensatorisch zu wirken. Das heißt, je schwieriger die Lebensbedingungen der Kinder sind, und das werden sie, wenn etwa der Arbeitsstress der Eltern wächst, desto schwieriger die Arbeit in der Kita.
Wie verhalten sich die Kinder denn heutzutage?
Das Aggressionspotenzial ist schon bei kleinen Kinder gestiegen. Wenn die Erzieherinnen dann noch einen zweiten Beruf ausüben müssen, kann das für niemanden gesund sein. Es würde eine ganze Menge bringen, wenn man die Gruppengröße drosselte. Nur so kann die Qualität erbracht werden kann, die in Hamburg durch die Bildungsempfehlung gewollt ist. Und dann kommt noch hinzu: ErzieherInnen tun viel mehr als die unmittelbare Arbeit am Kind. Sie beraten Eltern und vernetzen im Stadtteil. Aber offiziell haben wir keine Vor- und Nachbereitungszeiten für ErzieherInnen in den Kitas.
Was müsste sich noch ändern?
Die ErzieherInnen müssten Rückhalt und Anerkennung bekommen. Es kann ja nicht angehen, dass eine hoch qualifizierte Erzieherin Bildungsarbeit betreibt und dabei so wenig Geld verdient, dass sie einen Putzjob machen muss.
Sind die ErziehrInnen denn für Bildungsarbeit ausreichend qualifiziert?
Auf jeden Fall. Viele haben sozialpädagogische Assistenz plus Fachschule hinter sich, fünf Jahre also. Bei den Ansprüchen, die eine Gesellschaft an die frühkindliche Bildungsarbeit stellt, wäre auch eine Bewegung in Richtung Hochschulabschluss sinnvoll. Die Erzieherinnen hätten Anspruch darauf, und Hamburg hat im Koalitionsvertrag entschieden, auch eine Teil-Akademisierung voranzutreiben.
Ist denn da schon etwas geschehen?
Nein. Bisher gab es nur einen quantitativen Ausbau vom Senat, von einem qualitativen Ausbau ist noch nichts zu spüren. Darum müsste sich der Streik eigentlich auch nicht gegen die Träger der Kitas richten. Er müsste sich gegen die Kommunen und den Senat richten.
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