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Union will mit Visa Joschka Fischer besiegen

Das Auswärtige Amt soll mit zu lascher Visavergabe in Osteuropa Kriminalität gefördert haben. Dafür möchte die Union in einem Untersuchungsausschuss den bisher unangreifbar scheinenden Außenminister verantwortlich machen

BERLIN taz ■ Die Stoßrichtung der Union ist klar: Endlich soll gelingen, was bisher stets missglückte – der grüne Außenminister Joschka Fischer soll einen Dämpfer bekommen. „Es kann nicht sein, dass er ungeschoren davonkommt“, beschwerte sich CDU-Obmann Jürgen Gehb. Gestern trafen sich die 13 Mitglieder des Untersuchungsausschusses „Sicherheitsrisiko Visapolitik“ zur ersten Arbeitssitzung. Man würde es „nicht mit Trauer hinnehmen“, sagte Gehb, wenn „Herr Fischer“ durch den Ausschuss beschädigt“ würde.

Offiziell soll der Untersuchungsausschuss klären, ob das Außenministerium durch seine Visapraxis „insbesondere in Moskau, Kiew, Tirana und Pristina“ daran mitgewirkt hat, „Schwarzarbeit, Prostitution, Frauenhandel, terroristische Handlungen oder sonstige Kriminalität“ zu ermöglichen oder zu erleichtern.

So neu ist das Thema jedoch nicht: Das Auswärtige Amt musste inzwischen „über hundert Anfragen“ aus dem Parlament beantworten, hinzu kamen Fragestunden im Bundestag. Außerdem gilt die umstrittene Visapraxis nicht mehr. Auch die Staatsanwaltschaften ermitteln längst; erste Gerichtsurteile sind ergangen. SPD-Obmann Olaf Scholz sagte gestern entnervt, „es wäre schon ein Wunder, wenn wir schlauer würden, als wir es jetzt sind“. In der Sache geht es um einen Erlass, den der damalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer von den Grünen, im März 2000 unterzeichnete: Bei Visaanträgen solle künftig für die Reisefreiheit entschieden werden – auch wenn nicht zweifelsfrei zu klären sei, ob der Antragsteller wirklich zurückkehren wolle.

Um die Visaerteilung weiter zu vereinfachen, wurden in Kiew auch die so genannten Reiseschutzversicherungen akzeptiert, die weltweit im Einsatz waren. Die Antragsteller brauchten dann keinen Bürgen mehr. Stattdessen mussten sie nur eine Versicherungspolice vorweisen, die die Kosten einer eventuellen Abschiebung oder medizinischen Versorgung übernimmt. Wer eine solche Police besaß, dem wurde ein „Reiseschutzpass“ ausgestellt – seit 2000 wurden sie von der Bundesdruckerei gefertigt. (Für sie war Volmer später als Berater tätig, laut Union ein weiterer Skandal – siehe oben.) Diese Reiseschutzpässe hat jedoch nicht die rot-grüne Bundesregierung erfunden. Stattdessen wurden sie schon 1995 einführt, allerdings mit dem Titel „Carnet de Touriste“. Daher hat die rot-grüne Bundestagsmehrheit dafür gesorgt, dass der Untersuchungsausschuss auch „den Zeitraum vor 1998“ einbezieht.

Als ersten Zeugen hätte die Union gern den Kölner Richter Ulrich Höppner geladen. Im Februar 2004 hatte er einem Schleuser „Strafmilderung“ gewährt, weil ihm seine Vergehen „auf allen Ebenen von den zuständigen Behörden sehr leicht gemacht wurde“. Höppner sprach damals von „einem kalten Putsch gegen die bestehende Rechtslage“. Das sollte er nun im Untersuchungsausschuss wiederholen.

Doch die Regierungsparteien stimmten dagegen. Sie monierten „das Chaos“, das die Union mit ihren 48 Beweisanträgen stifte: Allein vom Auswärtigen Amt müssten 3.500 Akten mit 1,7 Millionen Blatt herangekarrt werden, hinzu kämen weitere 1,2 Millionen Visaanträge. Aus dem Bundesinnenministerium seien 3.000 Ordner und vom Bundesgrenzschutz 30.000 Ordner zu erwarten. ULRIKE HERRMANN

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