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Jäger Sammler Inszenierer

FOTOGRAFIE Die Deutschen haben einen schlechten Geschmack, die Schweizer überhaupt keinen, findet Yvan Rodic. Er gilt als König unter den Stilbloggern. Dabei hatte er früher nie etwas mit Mode zu tun

Keine Stadt ohne Blog

Niemand hat mehr den genauen Überblick, wie viele Modeblogs es eigentlich genau im Internet gibt. Mal heißt es, es wären 400, dann plötzlich 800. Mindestens 100 davon widmen sich aber dem, was die Menschen auf den Straßen tragen. Yvan Rodic’ Blog ist unter www.facehunter.org zu erreichen. Stilblogger jagen weltweit, das flächendeckende Streetstyle-Netz erstreckt sich über alle Metropolen. Helsinki: hel-looks.com

VON MAREN NELLY KELLER

Yvan Rodic patrouilliert durch Berlin, immer entlang den Grenzen des guten Geschmacks. Von Scheitel bis Sohle überprüft er jeden, der in sein Gesichtsfeld gerät. Er mustert Frisuren, Gesichter, Hosen, während er erzählt, während er Kaffee trinkt, erst recht während er durch Mitte läuft. Seit zwei Tagen ist Rodic jetzt schon in Berlin, die Beute ist bislang noch mehr als mager. Wie die Menschen in Deutschland angezogen sind, will ihm nicht so recht gefallen. München sei zu klinisch, in Berlin gebe es zu viele gut aussehende Langweiler und zu viele schlecht aussehende Freaks. In Rodic’ Sprache klingt das dann so: „Hyperindividuell, aber nicht fashion-forward.“

Schlimmer noch als Deutschland sei jedoch die Schweiz, sagt Rodic. Die Schweiz sei sogar einer der schlechtesten Orte für seine Art der Fotografie überhaupt. Alles dort müsse effektiv und praktisch sein. Die Kleidung am besten wasserabweisend und warm, darum trügen die Schweizer mit Vorliebe Snowboardjacken. Rodic schüttelt den Kopf, versucht sich an ein paar soziologischen Erklärungen. Vielleicht habe es damit zu tun, dass die Schweizer so bescheiden seien, sich nicht so gerne präsentierten. Aber dann fallen ihm die Skandinavier ein. Ebenso bescheiden, aber viel besser angezogen dabei.

Rodic selbst, sehr groß, sehr schlank, sehr dandyhaft, wurde vor 31 Jahren in Vevey am Nordostufer des Genfer Sees geboren. Die Schweizer Herkunft scheint jedoch ohne bleibende Stilschäden verwunden. Er trägt Lackschuhe und ein Sakko aus nachtblauem Cord und hält eine Kamera in der Hand. Mit der Kamera fotografiert Rodic Menschen, die ihm erstens auf- und zweitens gefallen, und veröffentlicht die Bilder dann auf seinem Blog „facehunter“.

Das klingt sehr simpel, erst mal, und wäre auch nicht weiter der Rede wert, verursachte er nicht eine Riesenaufregung damit: Der Tagesspiegel kürte ihn bereits zum „König der Stilblogger“, und als Rodic für eine Vernissage nach München reiste, hyperventilierte die Süddeutsche Zeitung am nächsten Tag: „Selten verdichtet sich an einem Abend in München so viel Hippness auf so wenig Quadratmetern.“ Irgendwann während seiner Jagd auf Stilikonen ist Rodic selbst zur Ikone geworden.

Dabei ist es nicht so, als hätte Rodic etwas Neues erfunden. Schon 1978 fotografierte Bill Cunningham zufällig Greta Garbo im Pelzmantel auf der Straße, erhob den Zufall dann zum Arbeitsprinzip und führt seitdem die Fotokolumne „On the Street“ in der New York Times. Keine 30 Jahre später nahm die Zeitung den Streetstyleblog „the sartorialist“ in seine Liste der 100 wichtigsten Instanzen der Design- und Modewelt auf und verhalf damit nicht nur dem Fotografen Scott Schuman, sondern gleich einem ganzen Bloggenre zu Ruhm. Spätestens seit diesem Moment ist die Anzahl der Streetstyleblogs im Internet explodiert. Nun gilt: Keine Stadt ohne Straßenblog.

Lieblingskind der Branche ist zurzeit Rodic, ausgerechnet. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Bloggern hatte Rodic, bevor er zum Facehunter wurde, weder mit Mode noch mit Fotografie zu tun. Rodic sagt, eigentlich wollte er nie etwas mit Mode machen. Gewissermaßen sei er der Mode nur in die Arme getaumelt, irgendwo im Nachtleben von Paris, wo er vier Jahre lebte. Rodic findet Paris zu gesittet und langweilig – ein Leben lang sei er aus den Orten weggezogen, die ihm zu öde erschienen. Für das Studium nach Lausanne, für den ersten Job nach Genf, mit der Freundin nach Paris. Weihnachten 2005, mit der Freundin ist schon wieder Schluss, schenken ihm die Eltern eine Nikon Culpix, flach und silber. Die Kamera wird seine Begleitung, wenn er durch Clubs und Galerien zieht. Es wird Februar 2006, Rodic stellt das erste Bild ins Netz. Ein Mann ist darauf zu sehen, mittelalt, ein Auge zugekniffen, das Gesicht vom Blitz abgewandt. Darunter ein einziger Kommentar: Jemand schreibt, er habe seinen Nachbarn erkannt.

Auch heute, dreieinhalb Jahre und mehr als 7.000 gebloggte Bilder später, kokettiert Rodic noch gern mit der Unverbindlichkeit dieser Partybekanntschaft. In der Zwischenzeit ist er nach London gezogen, weil ihm irgendwann auch Paris zu langweilig geworden ist. Mittlerweile, sagt Rodic, werde sein Blog 18.000-mal am Tag aufgerufen. Neue Bilder werden nahezu sofort und von überall auf der Welt kommentiert. Den Job als Werbetexter hat Rodic längst gekündigt. Jetzt verkauft er seine Bilder an Zeitschriften, und seinen Namen an Marken. Er reist um die Welt, wird zu Modeschauen eingeladen, schläft bei Bekannten auf dem Sofa. Rodic hat 21.290 Myspace-Freunde. Er ist zum Stilblogger in Vollzeit geworden, auch wenn er es ganz anders nennt. Rodic sagt von sich selbst, er sei ein Forschungsreisender durch die Kulturen. Er sagt, seine Arbeit habe viel mit Leuten und nur wenig mit Kleidern zu tun. Deshalb sagt er oft Sätze wie: „Es ist höchstens ein Flirt mit der Mode.“ Rodic glaubt an eine einfache Theorie: Stil setzt Persönlichkeit voraus. Ein außergewöhnlicher Stil setzt eine außergewöhnliche Persönlichkeit voraus.

Die Menschen, die er fotografiert, betreiben auffallend oft eine Band, ein Label oder wenigstens ein Magazin. Deshalb bringt Rodic seit Kurzem auch Videos aus den einzelnen Städten mit, in denen die Menschen nicht nur gut angezogen sind, sondern auch über ihre Band, ihr Label oder wenigstens ihr Magazin reden. Rodic sagt, deshalb habe das Stilbloggen auch nur am Rande mit Mode zu tun. Der Rand der Mode liegt in diesem Fall jedoch immer noch inmitten der Modewelt. Rodic verabredet sich nicht in Cafés oder an Straßenecken. Als Treffpunkt schlägt er eine Boutique in Berlin-Mitte vor. Seine nächste Verabredung wird er später vor einem anderen Laden ein paar Straßen weiter treffen. Dazwischen liegen Altbauten, Graffiti, Sonne, alles wohl dosiert. Wie geschaffen als Hintergrund für Straßenmodefotografien. Ausnahmsweise wäre die Kulisse hier kein Problem, dabei ist Rodic anspruchsvoll.

Allzu oft stört ein geparkter Lastwagen, versperrt ein Reklameschild das Panorama. Dann arrangiert Rodic neu, schafft farblich passende Details heran, Holzpaletten manchmal oder Plastiktüten, verändert, was verändert werden muss. „Ich bin von keinem Realismus besessen“, sagt Rodic. Der Grenzbereich zwischen Inszenierung und Realität ist längt nicht so gestochen scharf, wie es die Aufnahmen später sind.

Rodic drückt oft mehr als 100-mal auf den Auslöser, damit am Ende dieses eine Bild dabei sein möge. Wenn die Bilder scheitern, dann am Hintergrund. Rodic sagt, es lehne so gut wie nie jemand ab, fotografiert zu werden.

Die Menschen auf Rodic’ Bildern tragen oft Kleider aus dem Secondhandshop und nur selten Designerstücke. Glaubt man Rodic und seinen Anhängern, geht es deshalb um weitaus mehr als Marken. Kreativität. Individualität. Inspiration. Die Worte sind groß, die Röcke kurz.

Nirgendwo auf Rodic’ Blog stehen Preise oder Namen, dennoch ist er von der Modeindustrie verschluckt worden. Wie selbstverständlich ist er Teil der Verwertungskette geworden, an deren Ende in den Fußgängerzonenfilialen das Gegenteil von dem verkauft wird, was Rodic auf den Straßen sucht. „Ja, natürlich“, sagen sie zum Beispiel bei Hennes & Mauritz, „Stilblogs gehören zu unseren wichtigsten Inspirationsquellen.“

Rodic glaubt, er habe es den Designern einfacher gemacht. Jetzt braucht es nur noch einen Klick bis zur Fifth Avenue, welche Zeitersparnis, klick, Södermalm, klick, zurück auf die Neue Schönhauser Allee, wo Rodic immer noch kein Motiv gefunden hat. Später erst, am Nachmittag, wird ein junger Mann sein Blickfeld passieren. Frisur, Gesicht, Hose, alles stimmt. Vollbart, Segelschuhe, weiße Jeans. Bald darauf die ersten Kommentare. „Atemberaubend. Jetzt bin ich inspiriert, mir für diesen Barfuß-Sommer einen Bart wachsen zu lassen“, schreibt User Jamiedotball aus Nottingham.

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