KIRSTEN FUCHS über KLEIDER: Das Loch im Wandel der Zeit
Löcher gibt es überall. Mal sind sie sinnvoll, mal nicht. Aber was erzählen sie über uns, unsere Löcher?
Ich war letztens in Dänemark und habe mich über die dortige Jugend gewundert. Das war nicht der Zweck der Reise, aber unausweichlich, weil mir die Jugend in Kopenhagen ständig begegnete, niedlich wie junge Katzen. Sie sahen so ausgereift aus, so geldverdienend. Die richtigen Wörter dafür sind „adrett, smart“ und „apart“. Alles wirkte sehr gefällig, cremefarben, nicht zu gewagt, wirklich hübsch anzuschauen.
An ihrer Kleidung war kein Loch nirgends, nur die Löcher, die an Kleidung nötig ist, etwa um Köpfe, Arme, Beine und Knöpfe durchzufädeln. Und natürlich die Löcher für Taschen, aber wahrscheinlich hatten sie in den Taschen selbst keine Löcher. Ist ja auch besser so, denn wer Löcher in den Taschen hat, verliert Schlüssel oder sein Geld und steht dann mit privatem Haushaltsloch vor verschlossener Tür. Die Dänen wirkten auf mich so dermaßen friedlich, als ob sie es gar nicht nötig hätten, ihre Türen abzuschließen. Immerhin lassen sie ihre Königin von ganz albernen Laufmützen mit klappernden Lackschuhchen bewachen, und sie wird trotzdem nicht geklaut.
loch doch
Zurück in Berlin habe ich mich gefragt, ob die Löcher an Bürgern nicht nur mit privaten Haushaltslöchern zu tun haben, sondern überhaupt mit Haushaltslöchern? „Arm, aber sexy“, hat der Bürgermeister von Berlin über Berlin gesagt. Ob das nun sexy ist, wie sich die Berliner Jugend präsentiert, weiß ich auch nicht, aber es ist nicht so flächendeckend gefällig. Die Proleten sind richtige Proleten, sie gockeln und tussen voll herum, damit ihre Geschlechtsreife bemerkt wird. Die Alternativen nähen ihre Umhänge aus alten Sesseln und fertigen Hosen aus Schuhen. Und dann natürlich die Punks, die nichts gegen Löcher einzuwenden haben. Einige von ihnen haben sogar nur deshalb Textilien, damit die Löcher zusammenhalten. Das ist arm, aber nicht sexy. „Mir doch egal!“, sagen die Punks. Und niemand hört ihnen zu, weil sie seit Jahrzehnten sagen: „Mir doch egal!“ Ist das noch eine Reaktion auf unsere Zeit oder ist es nur Faulheit? „Mir doch …“ Jaja, ich weiß schon.
so loch doch
Ist die Jugend noch das Lackmuspapier für die Gesellschaft, zeigen sie noch an, ob wir sauer sind und ob unser System vor dem Umkippen ist? Allerdings ist es ja so, dass Lackmuspapier in chemische Prozesse nie eingreift. Was bringt es also?
Die, die sich in keiner Jugendbewegung im Kreis bewegen, sind „Stinos“, die Stinknormalen. In Kopenhagen waren fast nur Stinos, aber schicker, wirklich geschmackvoll. Vielleicht müssen die jungen Dänen einfach nicht Löcher haben, gegen die Eltern, den Staat. Vielleicht gibt es kein Bildungsloch und auch kein Angstloch nach der Schule und dem Studium, immerhin hat Dänemark nur 5 Prozent Arbeitslosigkeit und in der Pisa-Studie auch besser abgeschnitten als Deutschland. Vielleicht hat nur der Öre ein Loch und das ist dann auch schon alles. Darum können sich die jungen Dänen auf Wichtigeres konzentrieren, anstatt ihr Erwachsenwerden auszutoben, und darum gehen sie ihren Weg ohne Umwege. Wer z. B. etwas bewegen will und darum in die Politik geht – hört sich erst mal blöd an, aber angenommen, das ist der Weg, etwas zu verändern –, der wird doch nur ernst genommen, wenn er sich erwachsen verhält und es nicht mehr nötig hat, sein Außen wie ein Symbol für das Innen vorzuzeigen.
„Mir doch egal!“, sagen die Punker. Jaja, das sehen wir. Da Übertreiben anschaulich macht, hier mal ein Gedankenexperiment: Dänemark, adrett lochlos erwachsen werden, weniger Arbeitslosigkeit, im Gegensatz dazu Deutschland: Löcher als Pubertätsübergangsmittel, höhere Arbeitslosigkeit. Übel simpel! Wenn es nun so ist, dass die Löcher in der Kleidung kein inneres und äußeres Armutszeugnis sind, dann ist es wohl so, dass die Löcher daran schuld sind, dass Berlin verschuldet ist. Häh? Also müssen wir nur alle unsere Löcher stopfen lassen. Gut für den Dienstleistungssektor. Oder wir kaufen neue Kleidung. Das kurbelt die Wirtschaft an. Albern?
so loch doch schon
üch loch müch kronk
(Ernst Jandl, aus loch)
Fragen zu Dänemark? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen