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„Grüne Sieger schreiben die Geschichte um“

Zum 25. Geburtstag der Grünen feiern sich nur die Promis von heute, kritisiert Gründungsmitglied Eva Quistorp. Wichtige Personen der Parteigeschichte würden von den Realos vereinnahmt oder gleich ganz „vergessen gemacht“

taz: Frau Quistorp, Sie haben die Grünen mitgegründet. Heute feiert die Partei ihren 25. Geburtstag mit einem Kongress der Böll-Stiftung in Berlin – freuen Sie sich?

Eva Quistorp: Ja, aber ich bin noch nicht einmal angeschrieben worden. Ich komme nur als normale Zuschauerin. Angeblich gibt es „zu viele“ Gründer, um uns persönlich einzuladen.

Stimmt das denn nicht?

Beim Gründungskongress in Karlsruhe waren nur 1.000 Leute. Zudem sind inzwischen viele ausgetreten oder verstorben. Uns nicht einzuladen ist stil- und respektlos.

Wieso?

Sehen Sie sich doch die Jubiläumsbroschüre an: So etwas hätten wir in unserer Gründungszeit abgelehnt, das ist Geschichtsschreibung von oben. Wer sich in der Partei durchgesetzt hat und jetzt im Bundestag sitzt, der ist mit ganzseitigen Fotos abgebildet. Alle anderen werden übergangen. Das ist Geschichtsschreibung aus der Sicht der Sieger.

Wer fehlt?

Zum Beispiel die beiden großen Frauen der Grünen. Jutta Ditfurth ist ausgetreten und wird daher totgeschwiegen. Tragisch ist, dass Petra Kelly von ihrem Lebensgefährten Gert Bastian ermordet wurde. Von ihr gibt es immerhin ein kleines Foto – aber nur zusammen mit Joschka Fischer. Das soll signalisieren: Der jetzt populäre Außenminister und die charismatische Gründerin waren sich einig. Eigentlich repräsentierten sie aber unterschiedliche Flügel. So wird Geschichte uminterpretiert. Leute werden nicht nur vergessen – sie werden vergessen gemacht.

Es dürfen doch Gründer auf dem Kongress sprechen: Carl Améry und Wilhelm Knabe.

Ich schätze sie sehr in ihrer ökologischen Fachkompetenz und bin mit beiden befreundet. Aber es sind zwei 80-jährige Männer. Es fehlen die Frauen aus der Gründungsgeneration.

Die Migrationsbeauftragte Marieluise Beck sitzt ebenfalls auf einem der Podien. Seit 1983 ist sie im Bundestag – da könnte man sie doch als eine Kämpferin der ersten Stunde durchgehen lassen?

Aber sie repräsentiert nur die Leute, die aus den K-Gruppen kamen. Davon sind überhaupt viele auf dem Kongress vertreten, ohne dass sie ihre linke Vergangenheit erwähnen werden. In K-Gruppen waren auch der Chef der Böll-Stiftung, Ralf Fücks, Umweltminister Jürgen Trittin, die Fraktionsvorsitzenden Winfried Kretschmann und Willfried Maier aus Baden-Württemberg und Hamburg.

Das klingt doch wie ein vielfältiger Kongress: einerseits Ökologen wie Améry, andererseits viele Exlinke.

Aber die Grünen waren früher noch bunter. Es gab auch die antiautoritären 68er, die nicht in K-Gruppen organisiert waren. Sie werden auf dem Kongress jetzt nur von Dany Cohn-Bendit vertreten. Zu den antiautoritären 68ern gehörten aber auch viele Frauen, die damals die Quote durchgesetzt haben. Das wird verschwiegen.

INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN

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