Matthias Urbach über DER PERFEKTE KAUF: Initiationsritus für Fertigmarmelade
Weil die Schwiegermutter streikt, ist uns ihre Erdbeermarmelade ausgegangen. Es muss auch ohne sie gehen
Wir haben mal wieder Stress mit Schwiegermutter – diesmal herrscht sogar Funkstille. Das kennen wir schon. Leider haben wir nicht rechtzeitig unsere Vorräte aufgestockt: So entdecke ich eines Morgens meine Liebste vorm Kühlschrank, wie sie trübsinnig in ein rot verkrustetes Glas starrt. „Die Erdbeermarmelade ist alle!“
Mamas selbst eingekochte Marmelade „aus den guten Erdbeeren aus Werder“ wie sie stets betont, während sie uns wieder Gläser in unseren Rucksack stopft, bis der Reißverschluss knirscht, ist die Morgendroge meiner Frau. „Wie dumm“, sage ich und greife nach meiner Jacke. „Ich renn schnell los und kaufe welche.“ – „Erdbeermarmelade kaufen?“, erwidert sie in einem Ton, als hätte ich vorgeschlagen, eben im Supermarkt neue Kinder zu besorgen.
Selber kochen kommt angesichts des winterlichen Erdbeerangebots nicht in Frage. „Willst du etwa bei deiner Mutter zu Kreuze kriechen?“, frage ich. Meine Liebste schweigt und ich steige hinab in den Lebensmittelkeller von Karstadt Hermannplatz, wo zwei Regalwände voller Marmelade auf mich warten. Von der Eigenmarke Ja! zu 79 Cent bis zu Stauds Vienna Leichtkonfitüre für 7 Euro ist da alles zu finden. Bei „Rumpelstilzchen“ um die Ecke kaufe ich noch ein paar Biosorten dazu und organisiere mit dem vollen Dutzend einen kleinen Erdbeerbrunch. Eine Art Initiationsritus für Fertigmarmelade – es muss doch auch ohne Schwiegermami gehen.
Wer heutzutage einen Computer oder Videorekorder kaufen will, den überhäufen die Anbieter mit immer höheren Leistungsdaten in Gigabyte, dots-per-inch oder Hertz. Marketing und Verkäufer lassen einen gerne im Glauben, „je mehr desto besser“. Auch Marmeladenhersteller setzen inzwischen Anreize: Statt „Speicherkapazität“ preisen sie immer höhere „Fruchtgehalte“. Bei meiner Auswahl reicht der Fruchtanteil von 45 Gramm Früchten (Ja! und Chivers) bis zu 70 Gramm (Stauds) in 100 Gramm Marmelade. Aber gilt nun, je mehr Frucht desto besser?
Kaum stehen die zwölf Marmeladen in neutralen Gläsern zum Blindtest bereit, hält meine Frau sie gegens Licht und mäkelt: „zu rot“, „gräulich“, „sieht nicht aus wie von Mama“. Trotzdem machen wir uns ans Probieren, zur Verstärkung habe ich Franz und Robert eingeladen.
Wir sortieren erst mal die ganz Schlechten aus: Glas drei ist das Grauen, „zu süß“, „muffig“, „bitterer Nachgeschmack“ – kurz: indiskutabel. Das ist bestimmt Schneekoppe Prodieta, die ich als Provokation untergemischt habe, denke ich. Tatsächlich ist es Werder Erdbeere Premium, die mit dem zweithöchsten Erdbeeranteil im Test: 65 Prozent. Ausgerechnet. Die Marmeladenfirma vom Wohnort meiner Schwiegereltern. Aber ich schwöre: Sie hat keinem geschmeckt.
Die echte Schneekoppe scheidet ebenfalls aus, schmeckt „künstlich“. Das klebrige, sausüße Chivers „schmeckt nicht mal nach Erdbeere“, Mövenpicks Gourmet-Frühstück mit seinem „hohen“ – aber im Testfeld bloß durchschnittlichen – 55-prozentigen Fruchtgehalt finden wir „viel zu süß“. Die billige Ja! und die Bioware Annes Beste schaffen es ebenfalls nicht in Runde zwei.
Drei Marmeladen können überzeugen, drei weitere gehen gerade noch durch. Wir nummerieren die Marmeladen neu, um ohne Vorurteil ein zweites Mal zu vergleichen. Die Favoriten bleiben dieselben: Es sind die sündhaft teure 70prozentige Stauds, die mit feinem Geruch hervorsticht, sowie die Biomarken Gut & Gerne und Allos, die trotz geringerem Erdbeeranteil (55 Prozent) überzeugen. Im Mittelfeld tummeln sich Schwartau extra, und die mit 4,40 Euro recht teure Leysieffer-Konfitüre, die laut Etikett „im Kupferkessel von Hand gerührt“ wurde, sowie Landliebe. Allesamt im Vergleich zu den Siegern noch zu süß.
Fazit: Mir schmeckt Allos am besten, meiner Liebsten die teure Stauds. Aber 7 Euro ist mir meine Unabhängigkeit wert.
Fragen zu Marmelade? kolumne@taz.de MORGEN: Jenni Zylka PEST & CHOLERA
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