die erbswurst von CORINNA STEGEMANN:
Vor ein paar Wochen lief ich durch den Supermarkt und fand eine wurstförmige Verpackung, auf der dick „Erbswurst“ stand. Von Knorr. Daraus könne man eine schmackhafte Mahlzeit zubereiten, die nach Erbsensuppe mit Speck schmeckt, behauptete der Aufdruck. Und zwar schnell und einfach: Für einen Teller ein Teilstück in einem Topf zerdrücken, ein Liter kaltes Wasser dazu und aufkochen lassen, drei Minuten köcheln, fertig. Inhalt reicht für eineinhalb Liter Erbsensuppe und kostet nur ein Euro dreißig. Prima, dachte ich, genau das Richtige für mich: schnell, einfach, billig und lecker. Zu Hause habe ich dann genau die Bedienungsanleitung befolgt – es wurde zu einem der schlimmsten Erlebnisse meines ganzen Lebens.
Ich ließ also den zähen Brei drei Minuten bei geschlossenem Deckel köcheln, steckte dann gespannt meine Nase hinein und bekam einen Schock! Es war der widerlichste Geruch, der mir jemals begegnet ist. Dieser schwefelgelbe Schleim verströmte einen Gestank, der mir den Atem verschlug! Unvorsichtig hatte ich eine ganze Nase davon tief eingesogen, und mir wurde fast schwarz vor Augen. Ich bekam eine Panikattacke, Herzrasen und mir wurde schlecht und schwindelig. Ich taumelte zurück, in meiner Angst suchte ich nach dem Deckel des Topfes, mein einziger Gedanke war: „Zumachen! Schnell den Topf wieder zumachen!“ Nach einer halben Ewigkeit merkte ich, dass ich den Deckel in der Hand hatte, ich knallte ihn auf den Topf, riss das Küchenfenster auf und rannte auf den Balkon, um saubere, gesunde Luft zu atmen.
Dort ging es langsam etwas besser, und das Herzrasen hörte auf. Ich dachte darüber nach, was gerade geschehen war. Ich habe schon viel Ekliges gerochen, manchmal musste ich auch davon würgen, manchmal sogar brechen, aber so wie der Erbswurst-Gestank hat mich noch keiner fertig gemacht. Es war, als hätte der eitergelbe Schmadder irgendwelche Urängste in mir ausgelöst, und ich zitterte noch immer am ganzen Leib.
Nach etwa zehn Minuten dachte ich mir: „Was war das denn?!“ Ich ging zurück in die Küche, nahm den Deckel vom Topf und roch noch mal hinein. Schock, Taumel, Panik – unfassbar … Eine Art Vision fiel mich an, ich sah ein Kinderheim vor mir, das von einer Hexe geführt wird oder von einer schrecklich böse Oma. Wie eine Erinnerung an etwas Bedrückendes, Düsteres, Schreckliches aus allerfrühester Kindheit, an etwas, das so schlimm gewesen sein muss, dass ich es bis jetzt verdrängt hatte und was unlösbar verbunden ist mit diesem entsetzlichen Geruch. Aber ich bin nicht in einem Kinderheim aufgewachsen, und eine böse Oma hatte ich auch nicht.
Ich ging spazieren. Raus aus der Wohnung, weg von der Küche und dem Topf mit der Erbswurst-Pampe. Doch draußen ging der Horror erst richtig los: Überall roch ich Erbswurst! Immer wieder, anfallartig, als hätte sich das Grauen in meine Nase gebrannt. Mein Tabak roch nach Erbswurst, die Straßen rochen nach Erbswurst, es war kaum auszuhalten.
Wieder daheim, packte ich den ganzen Topf mit der Horrorpampe in eine dicke Plastiktüte und trug ihn sofort zum Müll runter. Mir zittern heute noch die Knie, wenn ich daran denke!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen