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Pisa-Pleite wird Doku-Soap

„Wir sind keine Inspektoren“ – Filmemacher aus Hagen dokumentieren die Arbeit internationaler Bildungsexperten an NRW-Schulen. Das Ziel des Projekts: ein „europäischer Lernpfad“ für Lehrer

AUS HAGENBRIGITTE SCHUMANN

Mittwochmorgen. Neun Uhr. Zwei Oberstufenschülerinnen der Fritz-Steinhoff-Gesamtschule in Hagen werden dabei gefilmt, wie sie zwei Besuchern ihre Schule zeigen. Schülerfilm? Falsch! Hier dreht ein Profi-Kamerateam der Hagener Fernuniversität und dokumentiert den Schulbesuch von Jörgen Dimenäs, Boras Universität in Schweden, und John Grue, Longdendale High School in England. Die beiden sind Teil der achtköpfigen internationalen Expertengruppe, die für eine Woche vier Gesamtschulen in NRW im Rahmen des EU-Mail-Projektes besucht (siehe Infokasten).

„Wir sind keine Inspektoren und kommen nicht, um zu kritisieren und zu belehren“, sagen die beiden Wissenschaftler übereinstimmend. Ihren Auftrag sehen sie darin, gute Beispiele zu sammeln. „Wir wollen lernen, was in den beteiligten Projektländern zur individuellen Förderung aller Begabungen in leistungsgemischten Gruppen an Erfahrungen vorliegt.“ Auf ihrem Programm stehen Unterrichtsbesuche, Interviews mit Lehrern, Schülern und der Schulleitung. Am Montag und Dienstag zuvor haben Jörgen und John die Josef-Beuys-Gesamtschule in Düsseldorf besucht.

Am Ende ihres zweiten Besuchstages in Hagen resümieren beide, was sie besonders beeindruckt hat. Für John ist es die freundliche Haltung, mit der Schüler und Schülerinnen sich in der Gruppenarbeit gegenseitig unterstützen und ergebnisorientiert zusammenarbeiten. Sie sind vertraut mit den Methoden des kooperativen Lernens. Diesem Ansatz wird auch in der angelsächsischen Unterrichtsforschung große Bedeutung beigemessen Es gibt erdrückende Belege, so John, dass Schüler von Schülern enorm viel lernen und sehr selbständig und selbstbewusst werden. Jörgen gefällt das vielseitige methodisch-didaktische Repertoire, das deutsche Lehrerinnen und Lehrer in der Unterrichtspraxis zeigen. Hier zeigt sich für ihn die Stärke der deutschen Unterrichtskultur.

Worin liegen dann die Ursachen für unser schlechtes Abschneiden gegenüber Schweden und England in PISA? Beide Länder haben im Gegensatz zu Deutschland ein Gesamtschulsystem, in dem Schüler und Schülerinnen unterschiedlicher Begabung bis zum Ende der Schulpflichtzeit miteinander und voneinander lernen. Das ist für Jörgen und John der Schlüssel für des Rätsels Lösung.

John unterstützt diese Aussage mit dem Hinweis, dass die meisten englischen Gesamtschulen ihre Schüler in Englisch, Mathematik und Naturwissenschaften nach Leistung aufteilen. Im Ergebnis zeigt sich, dass Schüler in den unteren Leistungsgruppen chancenlos zurückbleiben und das Unterrichten in diesen Gruppen sehr schwierig ist. Zur besonders auffälligen Verlierergruppe gehören „white boys“ aus Arbeiterfamilien. Eine so krasse soziale Chancenungleichheit kennt man in Schweden nicht, wo auf Leistungsdifferenzierung verzichtet wird.

In zwei Wochen werden die Projektteilnehmer in Manchester zusammenkommen, um eine Auswertung aller Unterrichtsbesuche vorzunehmen. Dann werden die Ausbildungsinstitutionen Bausteine entwickeln – für eine verbesserte Lehrerbildung.

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