denkmal dubios (3): Der Kanzler und Bremen
Bremen und der Kanzler haben eine innige Beziehung. Schon immer gehabt. Mit allen Vor- und Nachteilen. Der Unterschied zu früher ist nur: Damals – zum Beispiel vor 95 Jahren – konnte man noch ordentliche Denkmäler errichten, um das bilaterale Verhältnis zu beeinflussen. 1910 scheuten die BremerInnen weder Mühe noch Bronze, um Schröders Vielfachvorgänger Bismarck in eindeutiger Pose in die Hansestadt zu bannen.
In der Hand hält Bismarck ein zusammen gerolltes Stück Papier. Ein Brief? Kinkerlitzchen! Die gesamte Reichsverfassung ist mit eiserner Faust umfasst, und die bescherte den Bremern (ohne großes „I“) immerhin das allgemeine Wahlrecht für alle ab 25. Ein deutlicher Fortschritt gegenüber dem hanseatischen Achtklassensystem, das das Stimmgewicht der Einzelnen nach Stand und Vermögen bestimmte.
Das wichtigste am Bremer Bismarck ist allerdings das Pferd. Beziehungsweise die Tatsache, dass überhaupt eines vorhanden ist. Schließlich war die Reiterpose exklusiv gekrönten Häuptern vorbehalten – Bremen hat den weltweit einzigen reitenden Bismarck! Eine couragierte Initiative, die Kaiser Wilhelm Zwei aber großmütig hinnahm. Der Monarch selbst durfte jenseits des Rathauses – auf dem Liebfrauenkirchhof – seinem Ross die Sporen geben, und das in voller neobarocker Pracht. Bismarck hingegen war hochmodern. Kein überflüssiger Zierrat, selbst die preußische Pickelhaube ist zum Stahlhelm reduziert. Diese avancierte Ästhetik aus der Werkstatt des Münchners Adolf v. Hildebrand diente letztendlich auch zur Begründung der Reitersondergenehmigung. Außerdem war Bismarck Ehrenbürger Bremens – ebenfalls kein schlechter Kniff zur Kanzlerumgarnung.
Auf was übrigens reitet so ein Quasi-Potentat? Auf einem Hengst natürlich, mit kindskopf großem Hoden. Die viril-martialische Power des Ganzen wird durch den schwellenden Brustpanzer betont – dieser Dampfwalze soll man sich nicht in den Weg stellen. Schon gar nicht als Franzose.
Der Unterbau wirkt eher morbide: schwarz angelaufener Gedenkkranzhalterhaken an schartigem Gequader, auch als Pinkelstein genutzt. Säße es sich auf den Domstufen nicht viel netter, wenn dort keine Bismarckstele stünde? Wo die angerußten Domlöwen sowieso keinen Feng-Shui-Kriterien entsprechen?
Dieser Auffassung war eigentlich auch die hiesige SPD. Zehn Jahre hatte Bismarck bereits eingemauert an der Nordwand des Domes verbracht (ursprünglich zum Schutz vor den Bomben) als er 1952 wieder hervor geholt werden sollte. Wurde er auch. Denn Bürgermeistergenosse Wilhelm Kaisen, genauso clever wie Nachnachnachfolger Scherf, setzte sich gegen seine renitente Fraktion durch und veranlasste Bismarcks Entmauerung. Ob Adenauer qua Amtsnachfolge dankbarer war als derzeit Schröder, ist nicht überliefert. Henning Bleyl
Vorschau auf „Denkmal dubios“ (4): Die mahnenden Brüder und Schwestern vom Markt. Außerdem: denkmal noch dubioser – die Wahrheit über den Geier
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