: Alles gut also?
Umwelt-Ablass: Durch Zahlungen entsprechend dem Kohlendioxid-Ausstoß sollen die Klimaschäden von Flügen reduziert werden. Eine Betrachtung
VON GERHARD FITZTHUM
Dietrich Brockhagen brauchte elf Tage, um an sein Ziel zu kommen. In Berlin stieg er in den Zug und fuhr über Warschau, Moskau und Nowosibirsk nach Peking. Dort nahm er den Bus in die nahe Hafenstadt Tianjin, setzte mit der Fähre nach Kobe über und radelte nach Kioto weiter – zur legendären Klimakonferenz. Privat geflogen ist er noch nie und will das auch in Zukunft nicht tun. Dennoch wird sich der Klimareferent von Germanwatch in den nächsten Jahren fast ausschließlich mit dem Fliegen beschäftigen. Genauer gesagt: mit der Begrenzung der Schäden, die dadurch entstehen. Zusammen mit dem Veranstalterverband „Forum Anderes Reisen“ hat er im letzten Sommer „Atmosfair“ initiiert – ein gemeinnütziges Umweltdienstleistungsunternehmen, das vom Bundesumweltministerium unterstützt wird. Es richtet sich an Firmen und Organisationen, die nach Möglichkeiten suchen, die Klimaschädlichkeit ihrer Geschäftsreisen zu reduzieren. Es richtet sich aber auch an den einzelnen Urlaubsgast.
Die Benutzung der Website www.atmosfair.de beginnt damit, dass man seine persönlichen Flugdaten eingibt und den so genannten Emissionsrechner aktiviert. Das vom Umweltbundesamt geprüfte Programm berechnet dann in Sekundenbruchteilen die klimarelevanten CO2-Abgase für die Anreise und kontrastiert sie mit den Werten für anderes Fortbewegungsverhalten. Bei einem Flug von Frankfurt nach Los Angeles etwa produziert jeder einzelne Passagier die Klimawirkung von gut sechs Tonnen CO2, und das in der empfindlichen Zone von 10.000 Meter Höhe. Ein Jahr Autofahren verursacht dagegen nur durchschnittlich zwei Tonnen des Treibhausgases. Auch das Budget an Klimabelastung, die jeder Einzelne erzeugen dürfte, wenn er jedem anderen Erdenbürger genauso viel zubilligen würde, ist mit dem einen Interkontinentalflug schon überschritten – um mehr als das Doppelte.
Die Einsicht, die dieses schauerliche Zahlenspiel vermittelt, ist klar: Der Trip an die Westküste der USA ist klimapolitisch betrachtet ein monströses Unterfangen, das durch nichts zu rechtfertigen ist. Auf der rechten Seite des Bildschirms kann man jedoch ein Fenster öffnen, das Entlastung von diesem Gewissensdruck verspricht. Hier erscheint der Betrag, den man an die demnächst gegründete Atmosfair-GmbH überweisen muss, damit die durch die Reise entstehenden Emissionen kompensiert werden – in diesem Fall 119 Euro. Mit dem Geld werden Klimaschutzprojekte in der Dritten Welt finanziert, etwa in Südafrika, wo man den Energieverbrauch in einer Vorortsiedlung von Cape Town drastisch senkt, indem man die Hütten mit einem Dach versieht, die Wände isoliert und ein einfaches Solarsystem zur Brauchwassererwärmung installiert. Das durch den Urlaubsflug verbrannte Kerosin wird also anderswo eingespart, und das zusätzlich, da nur solche Klimaprojekte gefördert werden, die nicht ohnehin in Gang gekommen wären.
Das Projekt läuft schon jetzt hervorragend: 50.000 Euro wurden seit dem Herbst letzten Jahres von Atmosfair eingenommen und weitergeleitet, obwohl keine Werbung gemacht wurde und es zurzeit noch keine Spendenquittungen gibt. Alles gut also, der Schaden ausgeglichen, die Ökobilanz wieder in Ordnung?
Nein, sagt Dietrich Brockhagen bei der Vorstellung seiner Initiative auf dem Reisepavillon. „Der Schaden wird nicht wirklich kompensiert, denn klimaschädliche Kondensstreifen bleiben am Himmel, auch wenn in Südafrika Kerosin eingespart wird. Das Fliegen mit Atmosfair ist nur die zweitbeste Lösung, die beste ist, gar nicht zu fliegen.“
Diese Erkenntnis findet man auch auf der Webseite, ohne lange suchen zu müssen. Weil der Flugverkehr jährlich um rund fünf Prozent zunimmt, werden die vom Kioto-Protokoll bewirkten Reduktionsgewinne schnell wieder aufgefressen. Es sei sogar so, sagt Brockhagen, dass beim weiteren Anwachsen des Flugverkehrs in einigen Jahrzehnten dessen Emissionen allein ausreichen könnten, um das Klima vollends aus dem Ruder laufen zu lassen – selbst dann also, wenn es keine Industrie, keinen Autoverkehr und keine Landwirtschaft mehr gäbe. Atmosfair hat deshalb eine doppelte Zielsetzung: Zum einen soll der Fluggast für die Umweltfolgen seines Tuns sensibilisiert werden, zum anderen soll ihm dann, wenn er schon fliegt, eine Möglichkeit gegeben werden, den Schaden so gering wie möglich zu halten.
Natürlich liegen die Einwände auf der Hand. Atmosfair, so könnte man sagen, ist eine moderne Form des Ablasshandels: Mit der Bezahlung der Kompensationssumme kauft man sich vom Gewissensdruck frei. Damit könnten in Zukunft auch die in aller Seelenruhe fliegen, die sich bisher noch Gedanken ums Klima machen. Die große Masse bleibt da ohnehin ruhig – und wird weiter fliegen wie bisher. Faktisch ist also nichts gewonnen, außer das gute Gewissen eines neuen Typs von „Erste-Klasse-Passagier“ – eines Ökofluggastes, der verächtlich auf alle die herabschaut, die ihre „Strafe“ nicht bezahlt haben.
Dietrich Brockhagen weiß aber diese Befürchtung zu zerstreuen: Es gäbe genug Untersuchungen, die belegen, dass es keinen Zusammenhang zwischen schlechtem Gewissen und dem Verzicht aufs Fliegen gibt. Die aussichtsreichsten Kandidaten für die Angebote der Atmosfair, die Grünwähler, seien jedenfalls genau die, die in den Ferien nicht nur nach Mallorca jetten, sondern weltweit unterwegs sind. Die Ökosteuer habe ja auch nicht dazu geführt, dass jetzt mehr Auto gefahren würde.
Halbwegs überzeugt verlässt man das Hannoveraner Messegelände und fährt in die Stadt zurück, wo die Litfasssäulen vollständig mit azurblauen Plakaten beklebt sind. Auf ihnen verkündet Hapag-Lloyd ihre neuen Flugpreise: Teneriffa ab 29 Euro, Antalia ab 29 Euro, Faro ab 29 Euro! Klar, dass sich da der Zweifel zurückmeldet. Die 10 bis 14 Euro, die bei diesen Entfernungen ein gutes Gewissen kostet, wird man da gerne drauflegen!
www.atmosfair.de enthält auch Angebote von Veranstaltern des Forums Anderes Reisen, die auf Flüge ganz verzichten. Für die meisten anderen Forum-Mitglieder ist das Fliegen aber nach wie vor selbstverständlich
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