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Auf dem Sprung

Bis vor kurzem war Frank Löffler noch ein DSV-Adler. Jetzt ist der 24-jährige Oberstdorfer Chef der Event-Agentur „Nordic Emotion“ und lässt ganz normale Menschen von Schanzen hüpfen

AUS OBERSTDORFROLAND WIEDEMANN

Peter Schweitzer nimmt auf dem Balken Platz. Es schneit dicke Flocken in sein Gesicht. Der Bosch-Angestellte kneift die Augen zusammen, eine Skibrille hat er nicht. Vorsichtig startet er im Schein des Flutlichts. Die Ski rattern, aber sie bleiben in der Spur. Schon ist der Mann mit dem silbernen Helm auf dem Schanzentisch. Er streckt sich, hebt ab und – landet nach wenigen Metern wieder. Etwas wackelig sieht es aus, aber Peter Schweitzer steht auch noch am Ende des Aufsprunghügels. Ohne Sturz endet im Auslauf der Oberstdorfer WM-Skisprung-Arena sein Jungfernflug. „Ich bin froh, das Abenteuer heil überstanden zu haben, und gleichzeitig fasziniert, nach so kurzer Zeit bereits das erste Mal gesprungen zu sein“, beschreibt der 43-Jährige aus Ingolstadt seine Gefühle.

Frank Löffler hat ähnliche Gedanken. „Es ist schon erstaunlich, wie schnell das geht“, meint der Ex-DSV-Adler. „Nach einer Dreiviertelstunde Einführung fahren die Leute rauf, springen und sind begeistert.“ Er, der sich vor gut einem halben Jahr als Leistungssportler von der Schanze verabschiedet hat, glaubt eine neue Berufung gefunden zu haben. Löffler möchte seine Mitmenschen die Faszination des Skispringens hautnah erleben lassen. Nicht als Trainer, sondern als Chef einer Event-Agentur. „Nordic Emotion“ heißt das Unternehmen, das er mit einem Freund gegründet hat. „Wir wollen unter anderem Firmen und deren Mitarbeiter an die Schanze bringen“, sagt der Oberstdorfer, der mittlerweile in München lebt. „Das Interesse ist groß“. sagt er. Heute Abend hat ihn die „ImpulsCompany.de“ für eine Veranstaltung des Bosch-Konzerns engagiert.

„Auch Ahonen hat mal klein angefangen“, erklärt er den Bosch-Vertriebsleuten zu Beginn des „Skisprung-Workshops“ und schaut zur K-19-Anlage hinauf. Ein Satz, der auf seine Situation übertragbar ist. Der Rebell, der die Magersucht-Debatte im Springer-Lager ausgelöst hatte, daher zwischenzeitlich aus dem DSV-Team geflogen war und im vergangenen Sommer seine Karriere beendete, versucht einen beruflichen Neuanfang und beginnt bei null. „Kommunikation, Personalmanagement, Talentsichtung und Event-Organisation“ bezeichnet der Enkel der Oberstdorfer Skisprunglegende Sepp Weiler als seine Aufgabengebiete.

Dass Löffler trotz aller Enttäuschungen ausgerechnet wieder beim Skispringen gelandet ist, kommt nicht von ungefähr. Hier hat er Kontakte. „Und ich liebe diesen Sport nach wie vor“, fügt er hinzu. Daher will Löffler ihn auch voranbringen. Der Firmengründer, der nebenher Sportmarketing studiert, hat eine Vision: „Warum nicht Skispringen in Großstädten anbieten? Dort gibt es ein Riesenreservoir an Talenten – wenn man nur ein Bruchteil von ihnen erreichen würde …“

Ganz konkret schwebt dem Allgäuer eine Schanze im Münchner Olympiapark vor. Erste Gespräche mit DSV-Sportdirektor Thomas Pfüller gab es bereits. Löffler: „Der war begeistert von der Idee.“ Für ihn sind die Streitigkeiten mit den Funktionären des Deutschen Skiverbandes ohnehin schon lange aus der Welt geschafft. „Das sind olle Kamellen.“ Er will die Geschichten über seine ausgeprägte Abneigung gegen Salat und Äpfel, mit denen er als Springer den Hunger stillen musste, und das neue Leben, in dem Schweinebraten und Weißbier kein Tabu mehr sind, nicht mehr erzählen. Die Regelung mit dem Body-Mass-Index sei ein Schritt in die richtige Richtung, ist Löffler schließlich zu entlocken. Und dann gibt er doch zu, eine große Genugtuung darüber zu verspüren, „mit Walter Hofer“ das Reglement entscheidend verändert zu haben. Entstanden ist ein Regelwerk, das Ahonen in Löfflers Augen wie auf den Leib geschneidert ist: „Jetzt können ihm die Leichtgewichte nicht mehr davonfliegen.“

Frank Löffler wird bei der WM in Oberstdorf an der Schanze sein. Dann, wenn Ahonen seine Leistung mit dem WM-Titel krönen will. „Ich freu mich auf die Weltmeisterschaft“, behauptet er. Dabei müsste es ihm doch unendlich wehtun, ausgerechnet bei dem Großereignis in der Heimat nur als Zuschauer dabei zu sein. Zumal er Skispringen und -fliegen immer noch als „einen Traum“ bezeichnet. Ganz sein lassen könne er es nicht, gesteht Löffler. Ab und an möchte er schon das Gefühl genießen, durch die Luft zu segeln. „Vielleicht im Sommer wieder“, meint der angehende Vater. „Nur so zum Spaß.“

Peter Schweitzer versteht inzwischen, was Frank Löffler meint, wenn er von „der Faszination Skispringen“ spricht. Rauf und gleich wieder runter, die Zeit vergeht wie im Flug. Zwölf Meter weit hüpft Peter Schweitzer bei seinem letzten Versuch – persönliche Bestweite. Er ist glücklich, obwohl die Kollegen alle weiter gesprungen sind. „Das war ein einmaliges Erlebnis“, strahlt er. „Aber ehrlich gesagt, hatte ich jedes Mal einen Heidenrespekt, wenn ich oben stand.“

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