: Chronik einer Nazi-Karriere
Was wir schon immer über Hitlers Propagandaminister wussten: Mit seinem „Goebbels Experiment“ (Panorama) scheitert Lutz Hachmeister an der Gefälligkeit seiner Bilder – und an seinem falschen Tabubruch-Tremolo
Lutz Hachmeister wollte etwas Großes, Verstörendes schaffen: ein Porträt von Josef Goebbels, nur aus Bildern von Goebbels und dessen Tagebuchnotizen. Ohne moralische Distanzierung, ohne Kommentar. Wir sollen dem Schrecken ins Auge sehen.
Dass diese Methode produktiv sein kann, hat Romuald Karmakar mit dem „Himmler-Projekt“ gezeigt. Dreieinhalb Stunden lang hörte man dort eine Himmler-Rede von 1943, rezitiert von einem Schauspieler. Bei Karmakar konnte man die Banalität, den Schrecken, die Logik des NS-Regimes erfahren. Das Himmler-Projekt macht einen klüger – das „Goebbels Experiment“ nicht.
Irritierend ist bei Hachmeister nicht, dass wir einem Nazi auf Augenhöhe begegnen. Ärgerlich, ja anstößig ist, dass diese Begegnung so gefällig ist. Die Bilder sind in raschem Wechsel montiert, es gibt kaum Pausen, im Hintergrund plätschert Musik, die für Gefühlsrauschen sorgt und sich kaum von den Produktionen aus der Knopp-Fabrik unterscheidet.
Solide wird ein Leben montiert, von der Geburt bis zum Tod im Führerbunker. Die Chronik mag, zumal wenn man, wie Hachmeister, Moralfragen lässig beiseite wischt, als verlässliches Gerüst erscheinen. Ein Leben, ordentlich mit Bildern und Zitaten illustriert. Aber mit welchem Interesse, mit welchem Erkenntnisgewinn?
Goebbels liebte Hitler. Er bewunderte dessen Rhetorik. Er hasste Juden. Er war ein Agitator, der sich auf Effekte versteht. Er war ein moderner, medienbewusster Politiker. Er war, wie alle Nazis um Hitler, neidisch auf die anderen, die um dessen Gunst konkurrierten. So war es. Und?
In den Fokus rückt hier, bedingt durch die Form der Chronik, dass Goebbels nicht als Nazi geboren wurde. Er war in seiner Jugend ein verzweifelter, einsamer Mann. Die Erlösung von dieser Unglücksjugend war gekoppelt an die Nazibewegung. Dort hatte er einen Platz, die Bewegung stiftete Sinn und gab ihm Raum für Auftritte. So sah Goebbels es, so zeigt es Hachmeister.
Doch zu der Frage, wie aus dem Bildungsbürgerkind ein Massenmörder wurde, kommt der Film nicht. Hachmeister kann sie wegen seiner Blickbeschränkung sauf Goebbels Perspektive, nicht stellen, geschweige denn beantworten. So bleibt alles Oberfläche. Der Verzicht auf einen Kommentar, von viel Tabubruch-Tremolo begleitet, wirkt kokett. Er macht den Film nicht stärker. Im Gegenteil.
Am Ende sieht man den verbrannten Torso von Goebbels in der Reichskanzlei. Dazu ertönt Musik, sehr sanfte, getragene Töne in Moll. Sollen wir trauern? Oder ist das nur jene Gedankenlosigkeit, die eine auf emotionale Effekte geeichte Dramaturgie mit sich bringt: Musik muss halt sein, und Heiteres passt doch irgendwie nicht zu Leichen?
Das „Goebbels-Experiment“ zeigt, dass es nicht ausreicht, bei NS-Bildern bloß die pädagogischen Stützräder abzuschrauben und unterhaltsam sein zu wollen. Das „Goebbels-Experiment“ hat dem faschistischen Blick, den es zitiert, kaum etwas entgegenzusetzen. STEFAN REINECKE
„Das Goebbels-Experiment“: 17. 2., 15.30 Uhr, Colosseum 1
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