piwik no script img

Warten auf den Boom

SEEVERKEHR Die großen Nordsee-Häfen rüsten seit Jahren für den großen Boom der Ostsee-Anrainerstaaten. In Zeiten der Finanzkrise herrscht dort aber Container-Flaute

„Die Potentiale bleiben, wenn es irgendwann einmal wieder aufwärts geht“

Fast genauso stark wie die Autoindustrie ist der internationale Seeverkehr von den Folgen der Finanzmarktkrise betroffen. Das macht derzeit jede Prognose über die Wachstumsperspektiven dieses für Bremen wichtigen Wirtschaftszweiges unmöglich.

„Jeder dritte Arbeitsplatz ist vom Hafen abhängig“, sagt Jochen Tholen vom Institut für Arbeit und Wirtschaft (IAW). Wie bei der Autoindustrie hilft derzeit aber nur das Prinzip Hoffnung, dass es irgendwann wieder aufwärts geht – und dann werden auch die Erkenntnisse relevant, die Tholen und seine Kollegin Julia Rippe von der Uni Bremen bei ihrer Umfrage in den Ostsee-Häfen gemacht haben: „Die Potentiale bleiben, wenn es irgendwann einmal wieder aufwärts geht.“ Vor der Krise hatte die Arbeitnehmerkammer die Forscher beauftragt, herauszufinden, welche Perspektiven die bremische Hafenwirtschaft durch das Wirtschaftswachstum in den Ostsee-Anrainerstaaten hat.

Damals gingen die Hafenplaner in Russland und Polen von Wachstumsraten von bis zu 300 Prozent in wenigen Jahren aus – entsprechend groß waren die Ausbaupläne für verschiedene Hafenstandorte vor allem in Russland. Der modernste Hafen sollte in Ust Luga bei St. Petersburg entstehen – durch eine Überkreuz-Verflechtung hält die Firma Eurogate 20 Prozent der Anteile an der dortigen Hafengesellschaft. Aber seit einigen Monaten herrscht in Ust Luga Baustopp – die Fertigstellung der ersten Liegeplätze wurde auf Eis gelegt. „Vermutlich ist denen aufgrund der Finanzkrise das Geld ausgegangen“, spekuliert Tholen. Hans Driemel, Betriebsratsvorsitzender der Eurogate und als Präsident der Arbeitnehmerkammer Auftraggeber der Studie, glaubt das nicht – die Fertigstellung sei einfach verschoben worden. Der russische Besitzer der Hafenanlagen in Ust Luga besitze auch andere Häfen in der Region, die in der derzeitigen Umschlagsflaute Konkurrenz bekämen, wenn Ust Luga „ans Netz gehen würde“.

Die großen Hafenprojekte in Ust Luga, Kleipeda und Danzig werden nicht dazu führen, dass die großen Containerverkehre an den Nordsee-Häfen vorbei direkt dorthin gehen – dafür ist die Ostsee nicht tief genug, sagt Tholen.

Als „Verteilplätze“ für die Feeder-Fahrten in die Ostsee konkurrieren also die vier Häfen Hamburg, Wilhelmshaven, Bremerhaven und Rotterdam. Hamburg hat geografisch eine günstigere Lage als Bremerhaven, daher müsse Bremen „unbeirrt an den Ausbau- und Kooperationsplänen festhalten“, sagt Tholen.

Das einzige, was in Bremerhaven in Zukunft fehlen könnte, sind Liegeplätze für kleinere Feederschiffe – für solche Frachtschiffe also, die als Zulieferer und Verteiler für große Seeschiffe dienen. Um die Feederverkehre über die Weser nach Zentraleuropa deutlich auszubauen, müsste allerdings die Oberweser ausgebaut werden, sagt Betriebsrat Driemel.

Tholen plädierte einmal mehr für die Kooperation zumindest der deutschen Nordseehäfen. Dafür müsse es allerdings eine übergeordnete Instanz geben, die die Macht hätte, den Konkurrenzkampf zwischen Hamburg und Bremen/Wilhelmshaven zu beenden und den „Kuchen“ zu verteilen, sagte er.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen