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KIEL: DIE CDU DROHT MIT DER ANTIDÄNISCHEN LEITKULTURIdentität stiftet Ungleichheit

Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) stellt sich als janusköpfiges Unternehmen dar. Einerseits vertritt er die Interessen der dänischen Minderheit Schleswigs, genießt deshalb Minderheitenschutz und ist von der Fünf-Prozent-Sperrklausel befreit. Andererseits kämpft der Verband für politische Positionen, die – beispielsweise in der Schul- und Arbeitsmarktpolitik – links von der rot-grünen Koalition in Kiel angesiedelt sind, wodurch der SSW zum „natürlichen“ Tolerierungspartner der Sozialdemokraten avanciert. Ganz so, wie es in der skandinavischen Praxis früher (nicht heute!) gang und gäbe war.

Schon seit den Tagen Karl Otto Meyers, des gewieften Minderheitenvertreters und ausgewiesenen Antifaschisten, war der SSW auch Bürgern Holsteins sympathisch, die sich keiner dänischen Abstammung rühmen konnten, sich aber dem skandinavischen Lebens- und Politikstil nahe fühlten. Mit der Einführung der Zweitstimme war der SSW landesweit wählbar und erreichte fast überall ansehnliche Stimmenzahlen. Op ewig ungedeelt!

Dieser Stand der Dinge erbost nicht wenige deutsche Christlich-Konservative. Sie sehen hier eine unzulässige Privilegierung der „Roten“ unter dem Prätext des Minderheitenschutzes. Tatsächlich beinhaltet dieser Schutz Vorrechte, die das allgemeine Staatsbürgerrecht zugunsten der Kultur und der Lebensweise der Minderheiten modifizieren. Die Ungleichbehandlung ist also gewollt um der „Identität“ willen. Aber nationale Identität ist kein Gefängnis. Wenn der SSW ein Mindestquorum verfehlt, wird er in Kiel nicht mehr vertreten sein.

Ihrem Charakter nach sind deswegen Minderheitenrechte einschließlich spezieller Wahlrechtsklauseln Rechte auf Zeit, die vom Grad der politischen und sozialen Integration in die Mehrheitsgesellschaft abhängig sind und nur durch die Minderheit freiwillig aufgegeben werden können. Aber offensichtlich erleben wir in Schleswig-Holstein den umgekehrten Fall: dass die Minderheitskultur auf die Mehrheitskultur abfärbt. Das war nicht vorgesehen, ist aber trotzdem rechtens.

CHRISTIAN SEMLER

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