piwik no script img

Die Tugendhaften grüßen euch

Marc Rothemund inszeniert seinen Spielfilm „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ so geradlinig pathetisch, dass man sich glatt in Opas Kino zurückversetzt fühlt. Die kritische Frage nach dem Zusammenhang von Politik und Ästhetik erscheint nur mehr wie unnötiger Ballast für den neuen deutschen Erfolgsfilm

Der Widerstand der Geschwister Scholl war ein Beispiel,das die Mitläufer beschämte –aber erst im Nachhinein

von BARBARA SCHWEIZERHOF

Es verwundert, dass dieser Film nicht schon früher gemacht wurde. Seine Neuheit sieht man ihm nämlich kaum an. Im Gegenteil, ein unverkennbarer Hauch von 50er-Jahre-Ästhetik geht von ihm aus. Fast könnte man sentimental werden, so flott und schmissig, so geradlinig pathetisch sind diese letzten Tage der Sophie Scholl inszeniert. Eben noch sieht man die Freundesgruppe im Keller beim Hektografieren. Die Tapferen unter ihnen überzeugen die Ängstlichen, Sophie tut sich als besonders mutig hervor. Dann verteilen sie und ihr Bruder Hans unter spannungsteigerndem Trommelwirbel Flugblätter in der Uni. Leere Flure, viele Treppen, und ausgerechnet in der Sekunde, als sie im Strom der Menschenmenge, die aus den Vorlesungssälen kommt, untergehen könnten, ertönt die scharfe Stimme des Hausmeisters: „Sie da!“ Man erschrickt, als habe man nicht gewusst, was nun kommt: das Verhör, die Zelle, das Urteil und die Vollstreckung. Zwischendurch Sophie am vergitterten Fenster mit Blick nach oben: „Was für ein schöner Tag.“

Es scheint ein Trend der Gegenwart zu sein, unter dem Vorwand von Neuentdeckungen – im Pressematerial ist von bislang unbekannten Abhörprotokollen die Rede – Altbekanntes aufzutischen. Man denke nur an den „Untergang“. Ähnlich wie bei der Eichinger-Produktion hat man auch bei Marc Rothemunds Regiewerk den Eindruck, dass sich hier das Heimatfilm-Ensemble seine Jugend zurückerobert. Ob Mitverschwörer in der Weißen Rose oder Nazi-Verhörführer, sie wirken nämlich seltsam vertraut, all jene Figuren, die durch äußerliches Pflichtbewusstsein den inneren Zwiespalt verbergen. Diesen typischen, im Doppelsinn beherrschten Deutschen ist vor allem eines gemeinsam: Sie waren „eigentlich“ keine Nazis. Der Weg der Sophie Scholl bis zur Hinrichtung ist in Rothemunds Film folglich gesäumt von mitfühlenden Sympathisanten. Wer könnte auch Julia Jentsch widerstehen, die hier ein Remake des „Fräuleinwunders“ gibt samt dessen klassischen Tugenden: gewissenhaft, willensstark, natürlich, oder anders gesagt: anständig, nicht allzu intellektuell und von jener defensiven Erotik, die im Mann den Beschützerinstinkt weckt.

„Sophie Scholl – Die letzten Tage“ ist also entgegen der Ankündigung kein Film, der sein Publikum mit historischer Genauigkeit nervt. Die Verhörsituationen werden von einer sorgfältig psychologisch motivierten Dramaturgie bestimmt, die mitreißt, schon weil sie damit spielt, dass es anders hätte kommen können. Als die Beweise eindeutig werden, nimmt Sophie so viel Schuld wie möglich auf sich, um niemand anderen zu belasten. Entsprechend gerührt und imponiert ist der Verhörbeamte Mohr von diesem rechtschaffenen Mädel. Natürlich will er nicht, dass sie zum Tode verurteilt wird, aber was kann der Einzelne schon gegen das System ausrichten? Die größten Freiheiten erlaubt sich der Film in der Gerichtsszene: Hans und Sophie bringen sogar Freisler zum kurzen Schweigen, was ihnen Raum lässt für Schlussplädoyers, die sämtliche im Saal versammelten Uniformträger beklemmt die Köpfe senken lassen. Der Logik des Films nach hätte es wohl nur noch wenig gebraucht, und im Februar 1943 wäre in München eine Welle des Widerstands losgebrochen.

Mehr noch als dieser latente Revisionismus verwundert an „Sophie Scholl“ die Freimütigkeit, mit der alle Diskussionen über den Zusammenhang von Politik und Ästhetik über Bord geworfen werden, die das intellektuelle Milieu der BRD vor der Wiedervereinigung prägten. Was damals für klug galt, erscheint heute übermäßig kompliziert, unnötiger Ballast für das neue deutsche Erfolgskino.

Die kritischen Positionen von gestern beiseite gestellt, kann man seine Freude haben an den erhobenen, vor innerer Überzeugung leuchtenden Gesichtern der Geschwister. Die Sätze, die sie sprechen, sind so einfach und klar, dass man sie sofort wieder vergisst; die Bilder aber belegen mit jedem Blickwechsel, wer hier die besseren Argumente hat. So mitreißend diese filmische Heldenverehrung sein mag, tritt an einer verräterischen Stelle doch die Grenze dieses Verfahrens zu Tage: Christian Probst (Florian Stetter), Vordenker der Weißen Rose, bittet vor Gericht um Gnade, weil er seine drei kleinen Kinder nicht als Waisen zurücklassen möchte. Sicher, es liegt gar nicht in der Absicht des Films, und dennoch: Neben den Scholls, die hier ungebrochen, tapfer und mit Gewissheit für die richtige Sache zu sterben ihr Todesurteil annehmen, kommt Probst unverdientermaßen schlecht weg.

Warum aber hat es einen vergleichbaren Film nicht schon längst gegeben? Eine Antwort darauf findet sich bei Traudl Junge im Dokfilm „Im Toten Winkel – Hitlers Sekretärin“. Sie schildert ihre Scham darüber, ein „junges dummes Ding“ gewesen zu sein, besonders als sie entdeckte, dass Sophie Scholl noch ein Jahr jünger gewesen war. Den übrigen Altersgenossen, der „Aufbaugeneration“ in der Bundesrepublik, wird es ähnlich ergangen sein: Die Scholls waren ein Beispiel, das beschämte, aber eben erst im Nachhinein. Weshalb es seine Zeit dauerte, bis Schulen und Plätze nach ihnen benannt wurden. In den Feuilletons von heute beschäftigt man sich trotzdem lieber mit den Herren des 20. Juli. Woran mag das liegen? Auch zeigten die über 10.000 Flugblätter, die die Weiße Rose verschickte und verteilte, deprimierend wenig Wirkung. Wie neu, wie ungewöhnlich und interessant hätte ein Film werden können, der solche Fragen mit einbezieht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen