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Kubanisch trampen

Sich in Havanna als Tourist mit öffentlichen Verkehrsmitteln fortzubewegen ist nicht einfach, obwohl es Fahrradrikschas, Motorraddroschken und eine verwirrende Zahl unterschiedlicher Taxitypen gibt. Als Ausländer darf man nicht mit allem fahren

VON MARKUS WILD

Wer kubanische Bekannte hat und nach Kuba fährt, sollte sich auf einiges gefasst machen. Mit leeren Händen wird man dann mit ziemlicher Sicherheit nicht auf große Fahrt gehen können. Vielmehr dürfte es den meisten so gehen wie mir, als ich an Havannas Flughafen José Martí ankomme. Ich bin etwas ängstlich angesichts der zahlreichen – nach kubanischem Recht nicht ganz legalen – Mitbringsel im Gepäck und komme mir vor wie ein Gemischtwarenhändler mit Bauchladen: im Handgepäck einen Laptop für die Mutter einer Freundin, in der Geldkatze ein Haufen Euro für den Bruder eines in Berlin lebenden Kubaners, und in der randvollen Reisetasche, neben vielen kleineren Geschenken, eine riesige sprechende Plastikpuppe in Originalverpackung, weil sich die Nichte einer Freundin so etwas immer schon gewünscht hat.

Am Ende ist alles nicht so dramatisch, wie ich befürchtet hatte. Ohne einen Blick in mein Gepäck zu werfen, werde ich durch die Zollkontrolle gewunken. Zum ersten Mal wird mir klar: Als devisenträchtiger Tourist muss man sich nicht vor den staatlichen Behörden fürchten. So stehe ich unerwartet plötzlich vor der Frage, wie ich vom Flughafen in die Stadt komme, und verhandle in radebrechendem Spanisch mit den herumstehenden Taxifahrern. Das dauert eine Weile, weil sich alle „Taxistas“ weigern, mich zu dem Preis mitzunehmen, der mir vorher als üblich genannt wurde. Schließlich zahle ich 20 US-Dollar für die 20 Kilometer lange Fahrt in die Stadt. Als wir uns dem Zentrum Havannas nähern, wundere ich mich ein zweites Mal. Wer sind bloß all die adrett aufgemachten jungen Frauen, die an den großen Straßenkreuzungen stehen? Sind das etwa die „Jineteras“, Reiterinnen, also leichte Mädchen, die es allein auf mein Geld abgesehen haben? Der Taxifahrer muss lachen, als ich ihn frage: „Chico, das, was du da siehst, nennen wir ‚Botella‘, Flasche. Die Mädchen wollen von einem Autofahrer mitgenommen werden, darum haben sie sich so zurechtgemacht.“ Dieses kubanische Trampprinzip werde deshalb Flasche genannt, weil der nach oben gereckte Daumen von der Form her an eine Flasche erinnert.

In den nächsten Tagen muss ich immer wieder an diesen Autostopp à la cubano denken, wenn ich versuche, mich in Havanna fortzubewegen. Denn das ist gar nicht so einfach, weil der öffentliche Nahverkehr eine der großen Schwächen des sozialistischen Systems ist. Es gibt zwar Busse in der Stadt, umgebaute Sattelschlepper, die wegen ihrer Form „Camellos“, Kamele, genannt werden, doch sie fahren ohne Fahrplan und sind stets völlig überfüllt. Mein kubanischer Freund Lázaro behauptet, er sei noch nie in einem „Camello“ gefahren. Statt in einen solch stickigen Bus einzusteigen würde er lieber einen stundenlangen Fußmarsch in Kauf nehmen.

Tatsächlich lässt sich Havanna per pedes am besten erkunden. Viele Touristen, die Havanna besuchen, sehen freilich kaum mehr als die Altstadt. „Habana Vieja“ wurde 1982 zum Weltkulturerbe erkoren und wird seither zu einem Schmuckkästchen saniert; drum herum fallen immer noch ganze Straßenzüge ein. Doch in Havanna gibt es neben dem historischen Zentrum viele andere Stadtviertel, die alle ihren eigenen Reiz haben. Zum Beispiel muss man wenigstens einmal von der Altstadt über Barrio Chino, das alte Chinesenviertel, durch das hoffnungslos überbelegte Centro bis ins einstige Villenviertel Vedado gelaufen sein.

Nicht missen sollte man auch, auf die andere von Havannas Bucht nach Regla überzusetzen. Das Viertel Regla liegt zwischen Fabriken, Raffinerien und Hafenanlagen eingekeilt, und den „Reglanos“ bleibt nur ein kurzes Stück öffentlich nutzbarer Uferpromenade, an der neben dem historischen Fähranleger die Kirche Nuestra Senora de Regla steht. Man sagt den Reglanos nach, dass sie ihre Eigenständigkeit gegenüber der Hauptstadt trotzig wahren würden.

Wird man bei den Streifzügen durch die Stadt von einem Kubaner begleitet, werden allerdings unliebsame Begegnungen mit der Staatsmacht nicht ausbleiben. Insgesamt dreimal wird mein Freund Lázaro während unser Spaziergänge von Polizisten angehalten und sein Pass überprüft. Wenn er keine dunkle Hautfarbe hätte, wäre das nicht passiert, ist Lázaro überzeugt.

Wer des Laufens überdrüssig ist und ein schmales Reisebudget hat, der wird schnell wieder vor der Transportfrage stehen – und muss sich für eine der verwirrend vielen Taxitypen entscheiden. Mit den so genannten „Colectivos“, meist Straßenkreuzern aus vorrevolutionären Tagen, dürfen Ausländer eigentlich nicht fahren, was sehr schade ist. Denn wer möchte sich die Fahrt in einem ausladenden Chevrolet, Jahrgang 1953, schon entgehen lassen? Die Sammeltaxen nehmen auf festgelegten Routen so viel Menschen mit, wie reinpassen, und sind für unsere Verhältnisse spottbillig.

Daneben gibt es weitere Taxitypen: zum einen verschiedene „normale“ Autotaxen, zum anderen Fahrradrikschas und dreirädrige Motordroschken, die „Coco“-Taxis genannt werden. Bei den Autotaxen hat man die Wahl zwischen verschiedenen staatlichen Gesellschaften. Die „Pana“-Taxen kommen als gelb-schwarze Ladas daher und gelten als am preiswertesten.

Beim Einsteigen kann man den Fahrer entweder das Taxameter einschalten lassen oder mit ihm einen Festpreis vereinbaren – falls er sich darauf einlässt, denn erlaubt ist das nicht. Für eine mittlere Strecke, wie die zwischen Vedado und der Altstadt, sollte man in jedem Fall nicht mehr als drei US-Dollar zahlen. Außer den offiziellen Wagen gibt es zahllose Privattaxen, die jedoch keine Lizenz besitzen, um Ausländer zu befördern. Wird der Fahrer mit einem Touristen erwischt, muss er eine „Multa“ bezahlen. Mit mindestens 500 Peso kosten die Strafen zwei Monatsgehälter oder mehr.

Bis ich mich an das eigenwillige Taxisystem gewöhnt habe, braucht es einige Zeit. Und irgendwann merke ich, dass man sich als Tourist letztlich nur an die Straße stellen und eine Hand hochhalten muss. Irgendein Auto hält dann schon – ob es ein legales Taxi ist oder ein Kubaner mit seinem Privatwagen, der auf einen Nebenverdienst in harter Währung hofft. Nachdem ich schon eine gewisse Routine beim Feilschen um den Preis entwickelt habe, wird mir allmählich die Absurdität meines Geizes bewusst. Denn mehr als ein One-Way-Ticket der BVG kostet eine Taxifahrt nur selten.

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