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Eine Frage der Kragenweite

Eine Wäscherei in Hamburg ist die letzte Hoffnung für getragene Pastorenkrausen. Ein „Verschmutzungszuschlag“ ist in Planung

Keiner redet mehr von der großen Hamburger Halskrausenkrise von 1998. Dabei sah es damals wirklich schlecht aus für das protestantischste aller norddeutschen Kleidungsstücke. Hunderte von verschmutzten, fleckigen, zusammengeknüllten Halskrausen lagen in den Wäschekörben der Pastoren. Und niemand war in Sicht, der sie wieder herrichten konnte – die letzte Küstersfrau, die diese Kunst beherrschte, hatte, wie die taz schrieb, „ihren Tollstab niedergelegt“.

Das Verb „Tollen“ bezeichnet den Vorgang des Wiederaufrichtens zusammengesunkener Halskrausen, bis diese wie ein Wagenrad um Pastorenhälse stehen. Vor allem in Hamburg und Lübeck ist die Halskrause verbreitet, die ursprünglich als Auffangschild gegen herabrieselndes Perückenpuder gedacht war. „Wenn es frisch gewaschen und gestärkt ist, kratzt es furchtbar“, sagt ein betroffener Pastor, der namentlich nicht genannt werden will. Trotzdem findet er die Halskrause schön, das sei „so eine hanseatische Form von Konservativismus“.

Weil die Pastoren von der Krause nicht lassen wollen, war die Verzweiflung groß im Krisenjahr 1998. Doch die Gebete wurden erhört. Die Wäscherei, die seitdem die Halskrausen tollt, steht im Hamburger Stadtteil Steilshoop: Hochhäuser, 70er-Jahre Beton und immer noch kein U-Bahn-Anschluss.

„Wir halten hier eigentlich die Stellung“, sagt Wäschereileiterin Jutta Schuldt. Der Betrieb heißt „Samt und Seife“ und bemüht sich, „Frauen zu unterstützten, dass sie wieder Fuß fassen in der Arbeitswelt“. Sagt Wäschereileiterin Schuldt, die eigentlich Sozialpädagogin ist und vom Herrichten der Halskrausen nicht viel versteht. So viel aber doch: „Die Pastoren wissen wahrscheinlich gar nicht, wie viel Arbeit das macht.“

Als die Frauen von „Samt und Seife“ ins Halskrausen-Geschäft einstiegen, holten sie sich das Wissen von einer Küstersfrau. Seitdem zirkuliert es in der Wäscherei, wenn eine geht, lernt sie die Nächste ein. „Momentan sind es drei, die das können“, sagt Jutta Schuldt. „Nein, zwei.“ Sie sitzt in ihrem engen Büro, in dem ständig das Telefon klingelt, und starrt auf einen Papierbogen. „Eine Frau ist schon wieder weg, das macht mir jetzt ein bisschen Sorgen.“

Nicht jede der Frauen in der Wäscherei ist für den Umgang mit der Halskrause geeignet. „Dazu“, sagt Schuldt, „gehört sehr viel Fingerspitzengefühl.“ Besonders am Tollstab haben sich viele den Finger verbrannt, es geht um die Kunst, heiße Stäbe genau in die Faltenwürfe der Halskrause einzuführen. Nicht zu lang, sonst entstehen gelbe Flecken. Nicht zu kurz, sonst wird die Krause nicht steif.

In der Wäscherei laufen große Waschmaschinen, vor denen Frauen in Arbeitsanzügen stehen. „14,14,10“, sagt Jutta Schuldt, damit meint sie die Kilos an Wäsche, die reinpassen, aber die Halskrausen kommen in keine Waschmaschine. „Die sind viel zu stark verschmutzt“, sagt Schuldt, die Wäschereileiterin. Sie trägt sich mit dem Gedanken, einen „Verschmutzungszuschlag“ zu erheben, so geht das ja nicht weiter.

Im grauen Stadtteil Steilshoop ist das Haus der Wäscherei „Samt und Seife“ ein blauer Lichtblick. Die Pastoren sehen es nicht, das Haus, sie geben ihre Halskrausen beim „Kirchencounter“ in der Hamburger Innenstadt ab oder schicken sie ein, von Lübeck, von Cuxhaven. Die Frauen von Steilshoop haben Kunden sogar in Übersee, einmal war auch ein Professor aus Princeton dabei, der brauchte die Krause für eine akademische Feier.

10 Monate dürfen die Frauen höchstens bei „Samt und Seife“ bleiben, 10 Monate, das ist nicht viel. „Es ist schwierig, unter diesen Bedingungen eine Arbeitsqualität aufrechtzuerhalten“, sagt Jutta Schuldt. Sie muss jetzt weiter, vielleicht sucht sie schon die Frau, die als nächstes die Halskrausen macht, nicht zu steif und nicht zu weich, gerade richtig für die Hälse der Pastoren. Daniel Wiese

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