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„Ich wollte in die Technik rein“

Vor fünf Jahren gründete Sharon Adler in einer Kreuzberger Altbauwohnung das Frauen-Online-Magazin Aviva. Anders als die meisten Internetprojekte hat Aviva die Branchenkrise überlebt – und sich dank Werbung etabliert. Heute arbeiten 16 Mitarbeiterinnen zwischen harten News und Wellness

„Mädchen möchten oft dekorieren oder stylen. Das könnten sie auch im Internet“„Statt über Mode berichten wir über lesbische und jüdische Kultur“

VON JANA SITTNICK

An dem blauen Küchentisch nahm alles seinen Lauf, vor fünf Jahren. Nur war der damals noch nicht blau, meint Sharon Adler lachend. Der Tisch ist immer noch da, Gäste und Interviewpartner nehmen gern daran Platz. „Vor kurzem haben wir hier Redakteure eines New Yorker Kunstmagazins interviewt“, sagt die Aviva-Chefin, „die fanden das gut.“ Offenbar finden auch Internet-Userinnen das Online-Magazin für Frauen gut. 500.000-mal wird die Homepage von Aviva mittlerweile angeklickt – pro Monat.

„femZine for eBIZZ“ nennen die Macherinnen ihr Produkt. Sie versuchen den Spagat zwischen „hard news“ aus Politik und Wirtschaft, Hintergrundberichten, Star-Interviews und Wellness. Die Ausrichtung ist „feministisch und schlau“, der „Content“ ernsthaft, die Anmutung stilvoll. In der Hochzeit der „Dotcom“-Branche wurde Aviva in einer Kreuzberger Altbauwohnung gegründet. Das Magazin hat nicht nur den Absturz der New Economy überlebt. Das „femZine“ konnte sich als kommerziell betriebenes Medium dank Werbeeinnahmen etablieren. Zu den Werbekunden gehören unter anderem das „Kulturkaufhaus Dussmann“ und der Kosmetikkonzern „Aveda“. Zum Geburtstag haben Prominente gratuliert, darunter die Grünen-Politikerin Sibyll Klotz, die Schriftstellerin Holly-Jane Rahlens und die Schauspielerin Vivian Kanner.

„Aviva ist mein zweites Kind“, sagt Chefredakteurin Sharon Adler, „das gibt man nicht einfach so zur Adoption frei.“ Natürlich kenne sie die Angst vor Pleiten und Fehlentscheidungen. „Aber das Gefühl hat jede Unternehmerin mal.“ Die Idee mit dem Online-Magazin kam ihr praktisch über Nacht. Die gelernte Fotografin hatte damals eine Fortbildung zur Programmiererin gemacht und sich von der Internet-Euphorie anstecken lassen. „Ich wollte in die Technik rein. Der Onlinebereich war vor ein paar Jahren noch Neuland und ist es immer noch“, meint sie begeistert, „da kann man viel gestalten.“ Frauen, sagt die Chefin des Frauenmagazins, sollten ihre Hemmschwelle vor der Technik überwinden: „Wie oft höre ich von Mädchen, die am Girl’s Day einen Tag in der Redaktion verbringen, dass sie später gerne dekorieren oder stylen möchten“, stöhnt Adler. Dabei könne man das genauso gut online.

Am Anfang hätten viele Leute an ihrer Idee gezweifelt. Frauenmagazine, habe es geheißen, gäbe es doch schon so viele. „Und da dachte ich, nun mach ich es erst recht.“ Sharon Adler mag die Herausforderung. Und damals mochte sie auch die Investitionsbank Berlin (IBB). Mit ihrem Marketingplan bekam die Existenzgründerin innerhalb von nur zehn Tagen die Zusage für die notwendigen Darlehen.

Es steht der aparten Enddreißigerin gut, wenn sie von ihrer „Pioniertat“ schwärmt. Sie ist quirlig, redet viel und schnell, sagt, wenn ihr der Name eines Chefredakteurs oder einer Filmproduzentin nicht sofort einfällt, sie sei so „überinformiert“. Beim Reden löst sie einige Male ihren Haargummi, auf dass die langen schwarzen Locken herunterfallen, und steckt sie hektisch wieder zurück.

„Am Anfang waren wir zu viert“, erinnert sich Adler, „und eine befreundete Webdesignerin hat mit uns die Seiten gestaltet, für umsonst.“ Später hat das Team in eigener Regie das HTML-Format auf „Aviva-Lay-out“ umgestellt. Heute zählt die Redaktion sechzehn Mitarbeiterinnen und zwei Praktikantinnen.

Die tagesaktuellen Sachen werden von Sharon Adler und der Redakteurin Anja Kesting selektiert, jede Rubrik hat ihre eigenen Datenbanken und Online-Verteiler. Stündlich werden Meldungen und Beiträge auf der Website erneuert. Ausgesucht werden die Themen aus Wirtschaft, Politik und Kultur nach ihrer Bedeutung als „Frauenthemen“. Den Unterschied zu herkömmlichen Frauenmagazinen, die heutzutage auch im Internet abrufbar sind, sieht Sharon Adler in dem aktuellen und im regionalen Bezug. „Wo andere Modestrecken bringen, berichten wir über lesbische und jüdische Kultur oder die Vernetzung von Berliner Fraueninitiativen.“

Es soll um „frauen-affine, schnelle Information“ gehen. Auf der Aviva-Seite liest man von den Friedensgesprächen zwischen Scharon und Abbas, von DaimlerChrysler, der auf Drängen des Tierschutzverbandes Peta neue Autositze aus Kunstleder herstellen will, vom Brustkrebsrisiko und von der Sängerin Patricia Kaas. Buchrezensionen, Kultur- und Wellnesstipps, Informationen über Frauenkongresse und Workshops stehen zur Auswahl. Viele Stichworte auf der Aviva-Website sind verlinkt, verweisen auf andere Sites und Hintergrundinformationen. „Mir war es wichtig, ein breites Angebot zu schaffen, wo sich alle wieder finden“, sagt Sharon Adler, „wenn wir einen Text bringen über ein juristisches Problem, dann muss der so formuliert sein, dass die Juristin mehr Input erhält, aber auch die ‚Normalfrau‘ den versteht.“ Mit einem Klick würde sich ein Extra-Fenster öffnen, und da könne sich die Fachfrau dann noch mal in den Gesetzestext reinlesen.

Man kann es nicht allen recht machen, Servicegedanken hin oder her. Das weiß auch die Aviva-Chefredakteurin. Ihr Magazin zielt auf die akademisch gebildete, meist berufstätige, surfende Frau. Auf die kulturinteressierte, karrierebewusste und sozial engagierte Frau, die auch einen Sinn für Lifestyle hat, vielleicht Kinder und noch Zeit zum Bücherlesen.

Sharon Adler selbst hat eine neunjährige Tochter und eine „70-Stunden-Woche“. Mit der Trennung von Arbeit und Freizeit kann sie nichts anfangen. Ihr Online-Magazin ist ihre Leidenschaft. Daneben gibt es nicht so viel. Manchmal ein Besuch im Salzwasser des Liquidrom. „Das ist ganz gut für mich“, gibt die Vielrednerin zu, „da darf man nämlich nicht sprechen.“

Homepage: www.aviva-berlin.de

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