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Lockruf des Geldes

AUS ABU DHABIADRIENNE WOLTERSDORF

Emal ist aus dem pakistanischen Peshawar und froh, hier zu sein. Seit 14 Jahren fährt er ein Taxi des städtischen Transportunternehmens Dubai durch den ständig dichter werdenden Verkehr. „Nachdem ich begriffen habe, wie alles läuft, komme ich gut damit zurecht.“ Wenn er krank wird oder sein Auto in die Werkstatt muss, zieht ihm der Boss, ein Einheimischer, das vom Lohn ab. Wenn er schlechten Umsatz macht, senkt er auch seinen Grundlohn. Wird er entlassen, muss er innerhalb von 30 Tagen die Emirate verlassen. Hart, aber berechenbar, findet Emal. „Zu Hause ist alles viel schlimmer.“ Zu Hause in Peshawar sitzen neun Brüder, zwei Schwestern und zahlreiche Verwandte, die auf Emals Geld warten. Zwischen 300 und 900 Dollar im Monat.

Younus hat ein anderes Problem. „Ich habe einfach zu viele Talente und möchte gerne Geschichte schreiben.“ Younus ist gebürtiger Emirati und besucht das „Higher College for Men“ in Abu Dhabi. Das Studium ist kostenlos, seine Lehrer sind aus den USA und England, und er könnte schon in wenigen Jahren Sponsorgeschenke an sein College machen. Junge Emiratis wie er lernen jetzt, die Reichtümer des Landes zu verwalten. Während Emal sich damit abgefunden hat, der Ernährer seiner Geschwister zu sein, möchte Younus, dass die Welt bald über die Leistungen seines Landes informiert ist.

Sein Wunsch geht schon in Erfüllung. Weil im Wüstensand gigantische Projekte in den Himmel wachsen und sich die Staatschefs schwächelnder Industrienationen bei den Scheichs die Klinke in die Hand drücken, sind die Zeitungen voll des Jubels: „Die Tigerstaaten am Golf“. „Es ist alles Gold, was glänzt“. Künstliche Inseln, die längste Skipiste der Welt, der höchste Turm, das größte Stadion, das teuerste Hotel – in den Scheichtümern jagt ein Superlativ den nächsten. Dank des schwarzen Goldes, das vor allem Abu Dhabi vor seiner Küste birgt, boomen die Emirate. Beim derzeitigen Ölpreis von rund 50 Dollar je Barrel wird 2005 ein Megagewinnjahr. So schnell strömen die Petrodollars, dass selbst die neu entstehende Financial City in Dubai gar nicht mit so viel Anlage-Ideen hinterherkommen kann.

Nun will auch Deutschland am Golf profitieren, was die Emiratis aus alter Bewunderung für deutsche Akkuratesse begrüßen: Im Januar stiegen die Scheichs mit einer Milliarde Euro bei DaimlerChrysler ein, im Februar erhielt Rheinmetall einen 160-Millionen-Auftrag für 32 Spürpanzer, und Siemens erwartet nun den 860-Millionen-Dollar-Deal im Kraftwerksbereich. Wenn Bundeskanzler Gerhard Schröder also heute in Begleitung von 60 Unternehmern in Abu Dhabi Station macht, ist das kein Höflichkeitsbesuch. Die Emirate präsentieren sich als Tor zu einem Milliarden-Markt, der vom Iran bis ins östliche Afrika reiche. Sie locken damit, eine ideale Basis im Zukunftsmarkt zu sein: businessorientiert, klimatisiert, steuerfrei – und sicher.

Die Krisen in der Region haben den Scheichs tatsächlich nicht geschadet. Im Gegenteil. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem Irakkrieg haben zahlreiche Unternehmen ihre Repräsentanzen von Saudi-Arabien nach Dubai verlegt. Während in Riad gerade noch der Briefkasten hängt, können die Angestellten und ihre Familien in Dubai leben wie in München – nur besser.

Dass es keine Demokratie gibt, stört hier kaum jemanden, am wenigsten die Einheimischen. Da sie nur 20 Prozent der Bevölkerung zählen, liegt ihnen nicht an Wahlen und Mitbestimmung. Sollte etwa ein pakistanischer Taxifahrer über ihre Ölmilliarden mitreden dürfen? Younus, der schon drei Jahre in Frankreich studiert hat, meint hinter vorgehaltener Hand, dass er gelegentlich öffentliche Debatten vermisst. Mehr will er aber nicht sagen. Die Scheichs der sieben Emirate sind Regierungschefs und Hauptinvestoren in einem. Einer wie Scheich Al Makhtoum von Dubai nennt sich daher „CEO“ – Manager. Motto: Was der Wirtschaft nützt, nützt den Emiratis. Und fehlt einem der ärmeren Scheichs mal Geld, springt Abu Dhabi ein, das mit seinem Öl 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet.

Dass das Ölgeschäft ein Ende haben wird, darüber machen sich die Scheichs schon heute Gedanken. Während das Öl in Abu Dhabi noch 100 Jahre lang sprudeln wird, soll es in Dubai schon in zehn Jahren Vergangenheit sein. Doch die CEOs in ihren Gewändern planen schon seit Mitte der 90er-Jahre für die Zeit „danach“. Mit Infrastrukturprojekten „diversifizieren“ sie ihre Einkommensquellen. Allen voran Dubai, dass mit der Medien- und Internet City, einem Freihafen und einer Industriezone sowie neuen Hotel- und Tourismuskonzernen den anderen vormacht, wie es geht.

Allein im Tourismus erwarten die Emirate eine Steigerung von heute 5 auf 15 Millionen Touristen in wenigen Jahren. Schon heute ist Dubai größtes Logistik-Zentrum am Golf. Mit guten Zukunftschancen, wie Beobachter meinen. Abu Dhabi lasse das kleinere, 150 Kilometer entfernte Dubai experimentieren, meinen Experten von der deutschen Außenhandelskammer, um dann selbst bei den erfolgreichen Modellen nachzuziehen. Tatsächlich scheint das Leben in Dubai doppelt so schnell zu sein wie in Abu Dhabi. Wenn Younus sich amüsieren will, zieht er Jeans an und braust mit seinem Mercedes nach Dubai. Dort ist Alkohol weniger ein Tabu als in der Hauptstadt. In den Bars sitzen Mädchen aus Russland und Models aus Dänemark.

„Wir ergreifen Ideen von überallher, und wir lieben Qualität“, erklärt Scheich Ateeq Al Qubeisi, auf dessen Visitenkarte „Besitzer“ steht. „Unsere Tradition ist unsere Stärke“, sagt er und meint damit die Fähigkeit, an die Clan-Gemeinschaft zu denken. Um Tradition und Gegenwart zusammenzukriegen, fährt er gelegentlich in die Wüste, steigt aus, sitzt ein paar Stunden in der Stille. Als er Kind war, besaß er keine Schuhe und wohnte in einer Laubhütte. Sein Land war eine Wüste. Heute ist Al Qubeisi Partner für fünf Firmen von Washington bis Odessa. Heute residiert er in klimatisierten Räumen in Downtown Abu Dhabi, und Schuhe kauft er längst in München.

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