„Dieser Schuss hatte zu unterbleiben“

Prozess um tödlichen Schuss auf Einbrecher Julio V.: Amtsgericht bricht Verhandlung gegen Hauptkommissar wegen „fahrlässiger Tötung“ ab und geht nun von einem „Tötungsvorsatz“ aus. Das Schwurgericht muss das Verfahren neu aufrollen

Von Kai von Appen

Überraschende Entwicklung im Verfahren um den polizeilichen Todesschützen Wolfgang Sch.: Das Amtsgericht St. Georg brach gestern nach vier Verhandlungstagen den Prozess gegen den Hauptkommissar wegen „fahrlässiger Tötung“ ab, verschärfte den Vorwurf auf „Totschlag“ und überwies das Verfahren wegen der Schwere des Deliktes an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts. „Es besteht nach dem Stand der Beweisaufnahme der hinreichende Tatverdacht einer vorsätzlichen Tötung“, begründete Amtsrichterin Katja Reitzig den Beschluss: „Es gibt Anhaltspunkte, dass der Angeklagte gezielt schoss, in den Rücken traf und dabei zumindest billigend den Tod in Kauf nahm.“

Der 42-Jährige hatte Heiligabend 2002 in Winterhude den Einbrecher Julio V. mit einem Schuss getötet. Dass Sch.‘s Angaben zum Tathergang und der angeblichen Notwehrsituation Ungereimtheiten aufwiesen und nicht zu objektiven Beweisen passten, wurde frühzeitig klar. Doch nach einem Ortstermin in der vorigen Woche schloss sich nun auch das Gericht endgültig der Version des Nebenklagevertreters Manfred Getzmann an, wonach Sch. Julio V., um die Flucht des vermeintlichen Einbrecher-Duos nach dem Sprung aus dem Treppenhausfenster über den Hof zu stoppen, „in den Rücken geschossen hat – und zwar gezielt“, so Getzmann.

Reitzig sieht auch „keine Grundlage für die Annahme“ mehr, dass V. durch einen ungezielten Schuss ungewollt als „dritte Person“ getroffen worden sein könnte. „Der Hof war mit einem Blick aus dem Fenster einsehbar.“ Dass der tatsächlich vorhandene dritte Täter auf der Flucht auf die beiden „gewartet“ habe, sei „lebensfremd“ und „widerspricht dem Tatort-Szenario“, so Reitzig. „Eine ernsthafte Notwehrlage ist von dem Ergebnis der Beweisaufnahme widerlegt“ und sei eine „Schutzbehauptung“. Die Richterin weiter: „Der Mann befand sich in gebückter Haltung – vermutlich in der Hocke – als ihm von hinten in den Rücken geschossen wurde.“ Laut Reitzig ist der Schuss auch nach dem Polizeigesetz „nicht gerechfertigt gewesen“. Ein Schuss dürfe nur als „Ultima Ratio“ – nach Warnung oder Warnschuss – auf die Beine eines Flüchtenden abgegeben werden, „nur zur Ergreifung und nie als dessen Tötung: Dieser Schuss hatte ganz zu unterbleiben.“

Schon zu Beginn des Prozesses gab es Indizien für einen Vorsatz. So hatte sein Streifenwagenkollege Jens van H. ausgesagt, Sch. habe unmittelbar nach dem Schuss im Wagen gesagt: „Man hat so etwas so oft auf dem Schießstand geübt und trifft nie – jetzt reicht ein Schuss.“ Vor den Ermittlern gab Sch. als Motiv des Schusswaffengebrauchs an: „Ich bin 20 Jahre Polizist, ich lasse keinen Einbrecher laufen.“

Staatsanwalt Udo Bochnik, der ursprünglich selbst wegen Totschlags anklagen wollte, findet den Beschluss „vertretbar, er ist aber nicht meine Überzeugung“. Sch.‘s Verteidiger Harald Peter bedauerte indes die Entwicklung. Durch die „politische Einflussnahme“ durch Ex-Innensenator Ronald Schill sei der Fall in eine „falsche Richtung“ geraten. Der Polizist, der einen Einbrecher stellen wollte, sei jetzt „der böse Rambo“ und „der Einbrecher der Gute“. Getzmann konterte: „Ein Polizist hat einen Einbrecher zu fangen und vor Gericht zu stellen, nicht aber eine Todesstrafe zu vollstrecken.“