: Leitbilder für die Zukunft Bremens
Nach dem „Ende der Illusionen“ in Sachen Sanierungspolitik fordert die Arbeitnehmerkammer in einer hier dokumentierten Stellungnahme eine nüchterne Bestandsaufnahme des bisher Bewirkten und einen „ehrlichen, selbstkritischen Dialog über die Chancen und zukünftigen Leitbilder Bremens“
„Sparen und Investieren“: ein beschwerlicher und erfolgloser Versuch der Haushaltssanierung
Die Strategie des „Sparens und Investierens“ war von der Überzeugung getragen, dass man durch eine geschickte Investitionsstrategie und ein Bündel von Schlüsselprojekten – allen Benachteiligungen des Landes in der Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern und der als unzureichend eingeschätzten Einwohnerwertung zum Trotz – in der Lage sein werde, ein Wirtschaftswachstum zu initiieren, das Einnahmen einspielt, die einen langsamen Rückbau der Gesamtschulden ermöglichen. Mit der Strategie „Sparen und Investieren“ hat Bremen die Sanierungsziele Strukturwandel und Standortaufwertung zu eng und fast ausschließlich an das Kriterium Wirtschaftswachstum gekoppelt. Öffentliche Investitionen sollten private nach sich ziehen und so Arbeitsplätze schaffen.
Das Resultat des zehnjährigen Investitionsfeuerwerks ist niederschmetternd. Der Schuldenstand des Landes, der durch das Programm „Sparen und Investieren“ von 9,0 Milliarden Euro auf 5,3 Milliarden Euro gesenkt werden sollte, hat sich statt dessen um 1,4 Milliarden Euro auf 10,4 Milliarden Euro im Jahr 2003 erhöht. (Voraussichtlicher Stand derzeit: 12 Milliarden Euro, d. Red.) Von den 8,5 Mrd. Euro Sanierungshilfen, die Bund und Länder gemäß dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts bereitstellten, hat Bremen etwa 6,2 Milliarden Euro für Schuldentilgung eingesetzt; die restlichen 2,3 Milliarden Euro wurden investiert.
Privatwirtschaft hat nicht als Partner der Sanierung agiert
Das öffentlich erzeugte und beförderte positive Investitionsklima in Bremen ist keineswegs in ein nur annähernd vergleichbares praktisches Investitionsverhalten der Privatwirtschaft umschlagen. Die öffentlichen Investitionen wurden von 1993 bis 2001 um 43,9 Prozent erhöht; im gleichen Zeitraum stiegen die Gesamtinvestitionen (also einschließlich der privaten) im Lande Bremen lediglich um 15 Prozent. Da die öffentlichen Investitionen im genannten Zeitrahmen enorm anstiegen, müssen die privaten parallel dazu also erheblich zurückgeblieben sein. Dies ist ein entscheidender Hinweis darauf, dass die regionalen Unternehmen – trotz massiver Vorleistungen der Landesregierung – keine progressive Investitionsstrategie fahren.
Eine leidenschaftslose Bilanz der Strategie „Sparen und Investieren“ zeigt also, dass massive öffentliche Investitionen, selbst über den Zeitraum einer Dekade hinweg, nicht annähernd die private Investitionstätigkeit mobilisieren können, die aus politischer Sicht wünschenswert wäre.
Eine Überwindung der Haushaltskrise aus eigener Kraft ist nicht realistisch
Das „Sparen und Investieren“ hat sich als Strategie zur Sanierung des Landeshaushalts endgültig überlebt. Die Hilfen des Bundes und der Länder haben der Landesregierung zwar Spielräume für eine Investitionsoffensive gelassen, aber hinter dieser ‚Fassade‘ blieb die Überschuldung bestehen.
Es wäre politisch absurd, wenn die Landesregierung vor diesem Hintergrund weiter daran festhielte, dass die Überwindung der Finanzkrise aus eigener Kraft möglich sei: Niemandem wäre seriös zu vermitteln, warum eine Teil-Entschuldung des Landes im Verlaufe von zehn Jahren unter Gewährung massiver finanzieller Hilfen des Bundes und der Länder scheiterte, nun aber – quasi ohne Hilfen – für das Land möglich sei. (...)
Die ArbeitnehmerInnen haben den größten Teil der Sanierungslast getragen
Wie auch immer die Diskussion um das Für und Wider eines erneuten Gangs nach Karlsruhe verlaufen mag – in der Zwischenzeit kann die Politik in Bremen nicht eingestellt werden. Aus Sicht der Arbeitnehmerkammer muss die Landespolitik jedoch umgehend ein neues Leitbild entwerfen und neue Schwerpunkte setzen. Die fundamentale Misere im Bildungswesen, die Verschlechterung der sozialen Lage der erwerbslosen Bevölkerung und die Reduzierung staatlicher Leistungen für Hilfebedürftige sind Beispiele einer Politik, die sich ihre Investitionsfreiräume durch systematische Beschneidung der konsumtiven Ausgaben erarbeitete. Den größten Teil der Sanierungslast trugen mithin die Bremischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Härten der Strategie bekommen zu allererst die Schwachen der Gesellschaft zu spüren. Die also, die in besonderem Maße auf öffentliche Leistungen angewiesen sind.
Auch wenn jetzt finanzpolitisch die „Radikalkur“ anzustehen scheint: Es wäre ganz und gar kontraproduktiv, die Bereiche kaputt zu sparen, die bei den jetzigen und heiß ersehnten künftigen EinwohnerInnen die Bindung an unsere Städte Bremen und Bremerhaven wachsen lässt.
Das Land Bremen ist nicht nur Wirtschaftsraum, sondern auch städtischer Raum für Bildung, Wissenschaft, technologische Innovation, Kultur, Kommunikation, soziale Integration und urbane Qualität. Und die Stärke des Landes sind qualifizierte und motivierte ArbeitnehmerInnen, die bereit sind, sich für ihre Stadt /ihren Stadtteil über ihr privates Wohl hinaus zu engagieren.
Anregungen für einen politischen Neubeginn und die Zukunft der Stadt
Ein modernes Leitbild für das Bundesland Bremen muss aus Sicht der Arbeitnehmerkammer jedoch nicht nur die alte Wirtschaftslastigkeit des Sanierungsprogramms zurecht rücken, es muss zugleich die Mindeststandards einer soziokulturellen Infrastruktur festlegen. Diesem Anspruch liegt unsere Überzeugung zugrunde, dass Ausgaben für die Menschen, für ArbeitnehmerInnen, Kinder, Familien, allein Erziehende, Jugendliche und andere Mitglieder der Gemeinschaft investive, zukunftsorientierte Staatsausgaben sind.
Wenn der Senat es ernst meint mit seiner Absicht, alle BremerInnen für einen Neuanfang zu gewinnen, dann heißt das unter anderem, dass die Zusammensetzung von Gremien wie der Enquete-Kommission tatsächlich die Interessen der Bürgerinnen und Bürger widerspiegeln muss.
Statt immer neue, punktuelle Debatten über Einzelprojekte zu führen, muss nun ein gesellschaftlicher Dialog darüber in Gang gebracht werden, welche „Grundausstattung“ Bürgerinnen und Bürger in den einzelnen Stadtteilen und Quartieren für notwendig erachten und in welchen Formen diese realisiert werden kann. Die so genannte Bremer Erklärung, die im Jahre 1992 am Beginn der bremischen Sanierungspolitik unterzeichnet wurde, beschwor noch die traditionelle Koexistenz und Kooperation von Arbeitnehmerschaft und „Kaufmannschaft“ und die gleichberechtigte Rolle beider beim Tragen von Sanierungslasten und Sanierungsnutzen.
Die Bemühungen, aus Bremen und Bremerhaven bürger- und familienfreundliche Städte zu machen, haben nur dann Chancen, wenn BürgerInnen, etwa über die Beiräte, aktiv an der Diskussion beteiligt werden und sich darüber verständigen, wie viele Schulen, Schwimmbäder, Bibliotheken, Theater, Sportplätze, Parks, Freizeitheime Bremen haben kann und will. In dem Maße, wie es dem Land gelingt, seine BürgerInnen in diese Entscheidungen einzubeziehen, wird sich deren Bindung an den Stadtstaat vertiefen.
Die künftige (Sanierungs-)Politik im Lande Bremen muss die Balance zwischen Wirtschafts- und Strukturförderung und einer an den Lebensinteressen der BürgerInnen und am Maßstab unserer beiden Städte orientierten Stadtentwicklungs-, Sozial-, Bildungs- und Kulturpolitik neu begründen. Diesem Anspruch auf Neubestimmung der Landespolitik will die Arbeitnehmerkammer Bremen im folgenden einige Impulse geben.
Die „Stadt der Wissenschaft“ muss sich um nachhaltige und gerechte Bildungschancen bemühen
Entscheidend für die Lebensqualität im Lande Bremen ist – neben zukunftssicheren Arbeitsplätzen – der Zustand seines Erziehungs- und Bildungssystems. Es ist ein eigenartiger Widerspruch, dass Bremen/Bremerhaven als ‚City of science‘ nationale Beachtung und Anerkennung finden, andererseits aber Schlusslichter in Schulvergleichstests wie Pisa sind. Die fortdauernde Sparpolitik hat trotz aller Beteuerungen, dass man es zum Kahlschlag im Bildungssektor nicht kommen lassen werde, bis dicht vor den Bankrott geführt. Die Zugänge zur Bildung und die Qualität vorschulischer und schulischer Bildungsprozesse entscheiden nach wie vor darüber, wie Lebens- und Zukunftschancen an den Nachwuchs verteilt werden. Pisa signalisiert hier klar, dass der bremische Nachwuchs in jeder Hinsicht benachteiligt ist.
Die Arbeitnehmerkammer erwartet die Umsetzung folgender Maßnahmen:
➤ Die Kindergartenkapazitäten sind schnell auszubauen, insbesondere im Bereich der Tagesbetreuung der unter 3-Jährigen. Stellen für zusätzliche, qualifizierte MitarbeiterInnen müssen dringend geschaffen werden.
➤ Eltern müssen durch Beratungs- und Fortbildungsangebote befähigt werden, ihre Erziehungsaufgaben umfassend wahrnehmen zu können. Dazu gehört auch die Unterstützung und Vorbereitung der Kinder auf die Lern- und Leistungsanforderungen der Regelschule.
➤ Das Land Bremen ist schlecht beraten, wenn es Bildungssysteme aus Bundesländern ‚importiert‘, die im nationalen Vergleich zwar gut abschneiden (Bayern), international aber alles andere als erstklassig sind. Die Nationen, die Pisa besonders erfolgreich absolvierten, zeichnen sich durch eine qualifizierte, personalintensive Betreuung der SchülerInnen, zumeist in Ganztagsform, aus. Lernverbünde bleiben über lange Zeiträume erhalten, Leistungsmessung erfolgt nicht zum Zwecke der Selektion, sondern zum Zwecke der individuellen Förderung.
➤ Es muss dem entsprechend massiv in die schulische Personalentwicklung investiert werden. Das schulische Schicksal der Kinder und Jugendlichen gehört in die Hände von gut qualifizierten PädagogInnen. Alle Ambitionen, die Schule im pädagogischen Bereich zu einem Einsatzfeld für 1-E-Jobs zu machen, sind absurd. Es wäre weder politisch noch sachlich glaubwürdig, wenn das Land Bremen seine Kultushoheit dazu nutzen würde, Teile des Bildungssektors, in dem Lebens- und Zukunftschancen verteilt werden, als Billiglohn-Sektor zu organisieren.
➤ Die Bereitschaft und Fähigkeit sich weiterzubilden, ist in der modernen Gesellschaft Chance und Zwang zugleich. Das Bremische Weiterbildungsgesetz und das Bremische Bildungsurlaubsgesetz sind gegenwärtig die letzten staatlichen Instrumente, um dem lebenslangen Lernen der BürgerInnen Ziele, Inhalte und Impulse zu geben. Aus diesem Feld darf sich das Land Bremen daher nicht zurückziehen. Vorschläge, wie die jetzt von Wirtschaftslobbyisten vorgetragenen, den Bildungsurlaub abzuschaffen, müssen energisch zurückgewiesen werden. Stattdessen müssen neue Anstrengungen unternommen werden, um diesen Kristallisationskern einer neuen Lernkultur im Stadtstaat nicht nur lebensfähig zu halten sondern im Rahmen neuer Netzwerke und Kooperationen sinnvoll weiter zu entwicklen.
➤ Die Innovationskraft im Lande Bremen hängt schließlich ohne Zweifel in direktem Verhältnis davon ab, in welcher Qualität die Hochschulstandorte Bremen, Bremerhaven und Bremen-Nord als Bausteine des Bildungs- und Wissenschaftssystems Technologie- und Wissenstransfer leisten können. Die Zukunft Bremens als Wirtschaftsstandort und als kulturelles und urbanes Zentrum hängt daher an der Fähigkeit und Bereitschaft der Politik, Investitionen in die wissenschaftliche Infrastruktur und in ein modernes, hochwertiges Technologie-Dienstleistungsangebot zu tätigen.
Urbane Qualitäten stärken
Entscheidend für die städtische Qualität und deshalb in ein Leitbild für die Zukunft Bremens einzuarbeiten sind
➤ ein Nebenzentrenkonzept, das sich nicht in der Modernisierung und Anpassung des Einzelhandelsangebots erschöpft, sondern das auch die ‚weichen Faktoren‘ urbaner Qualität – Aufenthaltsqualität, Attraktivität öffentlicher Räume und Plätze, kulturelle Angebote, Sport- und Spielplätze u.a.m. – gleichrangig in der Förderung berücksichtigt;
➤ eine Gesamtplanung für das Gebiet Faulenquartier, Stephaniviertel, Hafenvorstadt und Überseestadt, in der die Aufwertung, die die Quartiere – auch durch den Aufbau des geplanten Medienzentrums – bekommen könnten, nicht postwendend durch eine vollkommen überdimensionierte Verkehrsplanung konterkariert wird;
➤ eine Zusammenführung des Rembertiviertels in kleinräumigen Strukturen mit “viertel“-ähnlicher Bebauung, in deren Rahmen der Durchgangsverkehr aus dem Viertel herausgenommen und weiträumig vor ihm abgefächert wird;
➤ eine Weiterentwicklung der alten Hafenquartiere zu einem Vorzeigequartier Bremens, in dem, durch behutsame Integration bestehenden Gewerbes, die Konzeption vom Leben und Arbeiten im Stadtteil umgesetzt wird.
➤ Entwicklung Bremerhavens zu einem wichtigen Standort für den Städtetourismus in Norddeutschland durch eine zügige Umsetzungen der Planungen einer maritimen Erlebniswelt auf dem Gelände des Alten und Neuen Hafens.
➤ Weitere Stärkung der Innenstadt Bremerhavens durch eine Steigerung der Aufenthalts- und Erlebnisorientierung, wie sie bereits in den Planungen zur Belebung der südlichen Innenstadt vorgesehen ist.
Schlussbemerkung
Es geht uns bei der Bewertung des bisherigen Verlaufs der Sanierung und bei den Anregungen für neue Leitbilder nicht darum, als Besserwisser zu triumphieren – auch wenn die Arbeitnehmerkammer und mit ihr viele Experten die Möglichkeiten eines Bundeslandes, Wirtschaftswachstum und Strukturwandel in eigener Regie und in der gewünschten Quantität und Qualität stimulieren zu können, überaus skeptisch beurteilten. Es geht uns darum, die Politik an ihre Verpflichtung auf das Allgemeinwohl zu erinnern und das bedeutet auch, dass kritische Begleiter der nunmehr anstehenden Neubestimmung der Sanierungspolitik einbezogen werden müssen. Die Glaubwürdigkeit bremischer Landespolitik kann nur dann wiederhergestellt werden, wenn Bürgerinnen und Bürger aktiv an der Entwicklung dieser neuen Leitbilder teilhaben und mitwirken können. Die Arbeitnehmerkammer bietet mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln die konstruktive Mitarbeit und kritische Begleitung eines neuen Sanierungsansatzes an.
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