: Shopping am Tag der Arbeit
Die Stadt Marl will den Einzelhandel stärken – und erklärt ausgerechnet den 1. Mai zum verkaufsoffenen Sonntag. Die Gewerkschafter wollen für ihren Feiertag der Arbeit kämpfen
VON MANFRED WIECZOREK
Provinzposse oder Skandal? Für die Gewerkschaften ist die Sache klar: „Es ist ein Skandal, dass der 1. Mai in Marl in vier Stadtteilen ein verkaufsoffener Sonntag ist“, sagt Frank Müller, Vorsitzender des DGB Marl. „Diesmal einkaufen – nächstes Ma(r)l arbeiten? Wir sind doch nicht blöd!“ heißt der Slogan, mit dem der DGB gegen den verkaufsoffenen Tag der Arbeit protestiert.
Was den DGB in Rage bringt, ist für die Mehrheit der KommunalpolitikerInnen lediglich eine pragmatische Entscheidung. Die verschiedenen Straßenfeste im Frühjahr hätten in Marl eine lange Tradition. Damit sich die Einzelhändler an den Wochenenden nicht gegenseitig Konkurrenz machen, habe man auf den 1. Mai ausweichen müssen, argumentierte die Ratsmehrheit schon im Dezember letzten Jahres. Auf Drängen der Grünen sollte der Beschluss wieder kassiert werden. Doch der 1. Mai bleibt verkaufsoffen. So entschied der Rat, und wieder stimmten auch einige SPD-Stadtverordnete zu.
Schon im Dezember habe man den höchsten Feiertag der ArbeitnehmerInnen nicht genügend gewichtet, gab sich SPD-Fraktionschef Michael Groß zerknirscht. Aus Angst vor drohenden Regressansprüchen des Einzelhandels von mehr als 80.000 Euro knickte der Rat erneut ein. Da halfen auch alle Protestschreiben und Gespräche der Gewerkschaften mit den Ratsfraktionen nicht. Künftig soll es für den 1. Mai aber keine Ausnahmeregelungen mehr geben.
Ein einmaliger Sündenfall also? „Der 1. Mai als Sonntag ist weder im Ladenschlussgesetz ausgeschlossen, noch handelt es sich dabei um einen so genannten stillen Feiertag. Demnach steht einer Öffnung am 1. Mai aus unserer Sicht nichts entgegen“ zitiert ein DGB-Flugblatt Susanne Brämer vom Einzelhandelsverband Ruhr-Lippe. Diese Argumentation kennt Josef Hülsdünker, DGB-Chef der Region Emscher-Lippe, allzu gut. Sie reihe sich ein in die vielen Versuche, ArbeitnehmerInnenrechte drastisch zu beschneiden und alle Lebensbereiche dem Profit unterzuordnen. „Der 1. Mai ist vielen aus Wirtschaft und Politik ein Dorn im Auge“, sagt der Gewerkschafter. Er erinnert an Überlegungen, den traditionsreichen Feiertag in dieser Form abzuschaffen und auf einen festgelegten Sonntag zu legen. Zum Glück habe der 1. Mai in vielen Bundesländern aber Verfassungsrang und sei nicht leicht auszuhebeln.
Für den DGB bietet die Gesetzeslage keinen Anlass dazu, sich zurückzulehnen. Vor der heutigen Ratssitzung demonstrieren die GewerkschafterInnen ab 14.30 Uhr auf dem Creiler Platz in Marl. „Wir werden nicht zulassen, dass diese Stadt zum Vorzeigeobjekt arbeitnehmerfeindlicher Politik wird“, sagt Frank Müller vom DGB Marl. Aufrufe, dass Shopping am 1. Mai zu boykottieren, werde es aber nicht geben. Statt dessen werde mit aller Kraft für den Kampf- und Feiertag der ArbeitnehmerInnen mobilisiert und die Kundgebung selbstverständlich abgehalten. Frank Müller: „Auch nach dem 1. Mai haben wir in unserer Region noch viel zu tun. Da wollen wir das Tischtuch nicht zerschneiden.“
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